Medienecho (Auswahl) nach Urteilsbegründung 4/2011

02. April 2011

Gössner 38 Jahre lang zu Unrecht
vom Verfassungsschutz beobachtet

Umfassend begründet hat jetzt das Verwaltungsgericht Köln, warum es die 38 Jahre dauernde Beobachtung des Bremer Rechtsanwalts und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor kurzem für rechtswidrig erklärt hat. Das Gericht konnte an keiner einzigen Stelle des vom BfV über Gössner gesammelten und vorgelegten Materials Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen finden – was aber Voraussetzung für die Beobachtung gewesen wäre. Bereits der "Ausgangspunkt für die Beobachtung", Gössners Engagement im Sozialdemokratischen Hochschulbund, habe "keine ausreichende Grundlage" gebildet, ab 1970 "gezielt in Form einer Personenakte Daten über den Kläger zu erheben und zu speichern". Später hat das Bundesamt Gössner vorgeworfen, er habe für einen von der DKP gesteuerten Verlag geschrieben. Doch die Verwaltungsrichter befanden, dies sei so selten geschehen, dass sich daraus keine Unterstützung der DKP ableiten lasse; und die Beiträge selbst ließen "auch in ihrer Gesamtheit nicht erkennen, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgte". Gössners Äußerung, die DDR-Bevölkerung habe im Zuge der Wiedervereinigung "mehrheitlich Kohl und Bananen gewählt", so die Richter erkennbar pikiert, könne "nicht ernsthaft als Geringschätzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewertet werden". Gössner ist derzeit Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretender Richter am Bremischen Staatsgerichtshof.

 

URL: http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,754650,00.html

© DER SPIEGEL 14/2011

SPIEGEL ONLINE                                                     05. April 2011, 14:32 Uhr

Urteil gegen Verfassungsschützer

Big Brother verwechselte Freund und Feind

Von Dietmar Hipp

Er pochte auf die Verfassung, kritisierte Gesetze - und wurde 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz bespitzelt. Nun stoppten Kölner Verwaltungsrichter die Observation des Bürgerrechtlers Rolf Gössner. In der schriftlichen Begründung des Urteils wird der Einsatz als Posse entlarvt.

Bei der Verleihung der diesjährigen Big Brother Awards am vergangenen Freitag hielt Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist aus Bremen, die Laudatio auf den niedersächsischen Innenminister, Uwe Schünemann (CDU). Der bekam einen Preis von Bürgerrechtsorganisationen für den heimlichen Einsatz von Überwachungs-Drohnen bei Protesten von Castor-Gegnern im Wendland.

Von heimlicher staatlicher Überwachung kann Gössner allerdings noch eine ganz andere Geschichte erzählen - es ist seine eigene.

Denn Gössner, Jahrgang 1948, ein linker Bürgerrechtler und profilierter Geheimdienstkritiker, ist selbst von 1970 bis 2008, 38 Jahre lang, vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet worden, wegen Verdachts auf verfassungsfeindliche Bestrebungen - und offenbar ohne dass sich dieser Verdacht in diesen 38 Jahren Beobachtung hätte erhärten lassen.

Dabei hätten die Kölner Beamten wissen können, dass Gössner zwar ein unbequemer Zeitgenosse ist, mit "beruflichen Kontakten" (Gössner) weit ins linksradikale Milieu, aber trotzdem gesellschaftlich weithin Anerkennung fand und findet.

Bremer Bürgerrechtler Rolf Gössner: 38 Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet

Anerkannter Polizei-Experte - im Visier des Verfassungsschutzes

So wirkte Gössner Anfang der neunziger Jahre im Auftrag der Grünen in Niedersachsen maßgeblich an der Liberalisierung der Verfassungsschutz- und Polizeigesetze des Landes mit, 1998 stand ein von ihm verfasster Gesetzentwurf in Hamburg Pate für die Schaffung einer externen Kontrollkommission für die Polizei. Auch im Bundestag trat Gössner immer wieder als Sachverständiger auf, etwa zum "Großen Lauschangriff" und zu den Anti-Terror-Gesetzen von 2001. Und als Mitherausgeber und Autor des jährlich erscheinenden staatskritischer "Grundrechte-Reports" erhielt er 2008 die renommierte Theodor-Heuss-Medaille.

Zudem wählte 2007 die Bremische Bürgerschaft Gössner in ihre "Deputation für Inneres", und sogar zum stellvertretenden Richter im bremischen Staatsgerichtshof. Doch die Verfassungsschützer focht selbst das zunächst nicht an.

Erst im Herbst 2008, kurz vor dem ersten Verhandlungstermin beim Verwaltungsgericht Köln, stellte das Amt die Beobachtung ein. Anfang Februar dieses Jahres erklärten die Richter die Beobachtung Gössners über den gesamten Zeitraum für rechtswidrig, jetzt liegt die ausführliche schriftliche Begründung vor.

Gössner über die Geheimdienste: "Fremdkörper in der Demokratie"

An keiner Stelle des vom BfV über Gössner gesammelten und vorgelegten Materials konnte das Gericht Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen Gössners finden - was aber notwendig gewesen wäre, um ihn überhaupt als Person beobachten zu können.

Wenn man die Urteilsbegründung liest, wird jedenfalls klar: Das Bundesamt hat über Jahrzehnte hinweg Kritik am Staat mit Verfassungsfeindlichkeit verwechselt. Vor allem die Geheimdienste geißelte Gössner wegen deren Intransparenz und Unkontrollierbarkeit immer wieder als "Fremdkörper in der Demokratie", forderte deren "sozialverträgliche" Auflösung. Offenbar erschien der den Beamten damit so sehr als Feind des Verfassungsschutzes, dass sie nicht bemerkten, dass er eben nicht der Feind der Verfassung war, den sie hätten beobachten dürfen.

Dass Gössner etwa im Jahr 1990 in der Zeitschrift "Geheim" schrieb, Arbeitsweise, Mittel und Methoden der Stasi glichen denen der westdeutschen Geheimdienste mehr "als viele Politiker das wahrhaben wollten", möge man "für unberechtigt, über­zogen und provokativ halten", urteilten die Kölner Verwaltungsrichter; eine "der­art grundlegende Kritik an Verfassungsschutzbehörden" beinhalte aber "nicht zu­gleich die indirekte Forderung nach Abschaffung unserer Verfassung und Ersetzung durch eine kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung".

Säuberlich abgeheftete Artikel

Seit einem vorübergehenden Engagement im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) im Oktober 1970 war Gössner, damals Jurastudent in Freiburg, im Visier des Verfassungsschutzes. Bereits nach zwei Monaten, lange bevor sich der SHB im November 1972 radikalisierte und umbenannte, schied Gössner dort wieder aus. Bereits dieser "Ausgangspunkt der Beobachtung", befanden jetzt die Verwaltungsrichter, habe "keine ausreichende Grundlage gebildet", um "gezielt in Form einer Personenakte Daten über den Kläger zu erheben und speichern".

Doch die Personenakte blieb bestehen, und sollte im Laufe der Jahre auf mehr als 2000 Seiten anwachsen.

So findet sich darin etwa aus dem Jahr 1981 eine Besprechung juristischer Fachzeitschriften - verdächtig erschien den Behörden allein, dass Gössner diesen und auch andere Texte in einem linken Verlag veröffentlicht hatte, der damals im Ruch stand, von der DKP gesteuert zu sein. Säuberlich abgeheftet wurde auch ein Artikel von 1987, in dem Gössner - horribile dictu - den Terrorismus zu einem statistisch "marginalen" Problem erklärte.

Die Harmlosigkeit des Materials mag ein Grund gewesen sein, dass das Bundesamt das Konvolut zunächst überhaupt nicht vorlegen wollte. Erst auf Druck des Verwaltungsgerichts bekam Gössner sein Dossier präsentiert - und auch dann nur mit einer Sperrerklärung durch das Bundesinnenministerium, in der alleine die Aufzählung der Seitenzahlen, die geschwärzt oder ausgetauscht wurden, zweieinhalb Druckseiten umfasst: an die 90 Prozent des über ihn gesammelten Materials bleiben so auch vor Gericht buchstäblich im Dunkeln.

Gössner erfährt 1996 von der Bespitzelung

Die vorgelegten Materialien ließen jedenfalls "auch in ihrer Gesamtheit nicht erkennen, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgte", so die Richter in ihrem Urteil. Auch dass Gössner einmal ausgeführt habe, die DDR-Bevölkerung habe im Zuge der Wiedervereinigung "mehrheitlich Kohl und Bananen gewählt", bemerkten die Richter erkennbar pikiert, könne "nicht ernsthaft als Geringschätzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewertet werden".

Gössner selbst hat erst 1996 von der Beobachtung erfahren: Als die Zeitschrift "Ge­heim", für die Gössner damals als Redakteur arbeitete, vom Verfassungsschutz "plötzlich als linksextremistisch qualifiziert wurde", so Gössner, "stellte sich für mich die Frage, ob ich mich als amtlich beglaubigter Linksextremist bezeichnen lassen musste". Er verlangte Auskunft, und bekam nach einigen Wochen mitgeteilt, dass über ihn ein Dossier bestehe - just zwei Tage, bevor er auf Einladung des hessischen Verfassungsschutzes mit dem damaligen Landesinnenminister eine Diskussion führen sollte zum Thema "Verfassungsschutz im Wandel - eine Behörde ohne Zukunft?"

Schon während des Gerichtsverfahrens um seine Akte erhielt der Bürgerrechtler vielfältigen Zuspruch. So schrieb etwa der ehemalige Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), in einer E-Mail an Gössner, "für den Fall einer Beobachtung oder gar Online-Recherche": "Sehr geehrte VS-Damen und Herren, lassen Sie bitte endlich Rolf Gössner in Ruhe. Er ist ein verfassungstreuer Demokrat, der mehr für die Wahrung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes getan hat, als mancher Verfassungsschützer im öffentlichen Dienst. Ich verbürge mich für ihn."

Gössner selbst findet pikant, dass er mit seiner Kritik am Staat letztlich immer wieder Recht bekommen hat, bei den Berufsverboten gegen Kommunisten etwa vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, oder vom Bundesverfassungsgericht, wie beim Großen Lauschangriff oder der Vorratsdatenspeicherung, wo er sogar selbst zu den Klägern in Karlsruhe gehörte. "Als Verfassungsfeinde beobachtet wurden aber nicht diejenigen, die verfassungswidrige Gesetze gemacht haben, sondern einer, der immer wieder auf die Verfassung pocht und Verfassungswidrigkeit reklamiert."

Es klingt aber nicht verbittert, im Gegenteil. Denn letztlich fühlt er sich gerade in seiner Kritik am Verfassungsschutz bestätigt durch die Posse um seine Person.

www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,754472,00.html

 

Mehr auf SPIEGEL ONLINE:

Big Brother Awards: Datenkraken-Oscars für Facebook und Apple (01.04.2011)
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,753991,00.html

Aus dem SPIEGEL-Archiv: Könnte mich vor lauter Wut verhackstücken (1984)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13510453.html

Mehr im Internet

Internationale Liga für Menschenrechte http://www.ilmr.de/

 

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Wurde unrechtmäßig vom Verfassungsschutz beobachtet: Der Menschenrechtler Rolf Gössner.   05.4.2011

Wurde unrechtmäßig vom Verfassungsschutz beobachtet: Der Menschenrechtler Rolf Gössner

Der Fall Rolf Gössner

Kein Feind der Verfassung

Von Eckhard Stengel

Wer die Abschaffung des Verfassungsschutzes oder die Aufhebung des KPD-Verbots von 1956 fordert, ist nicht unbedingt ein Verfassungsfeind und darf daher nicht ständig vom Verfassungsschutz überwacht werden. Das ergibt sich aus der jetzt bekanntgewordenen Begründung eines Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht Köln kürzlich die jahrzehntelange Beobachtung des Bremer Menschenrechtlers, Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner für rechtswidrig erklärt hat (Az.: 20 K 2331/08).

Der parteilose Linke ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Autor geheimdienstkritischer Bücher und Aufsätze. Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte Gössners Aktivitäten von 1970 bis 2008 überwacht und eine rund 2000 Seiten dicke Personenakte über ihn angefertigt.

1996 erfuhr Gössner erstmals durch ein eigenes Auskunftsersuchen beim BfV, dass seit seinem Studium in Freiburg ständig Daten über ihn gesammelt wurden – wegen Kontakten zu „linksextremistischen beziehungsweise linksextremistisch beeinflussten“ Organisationen und Medien. Registriert wurden vor allem Gastbeiträge und Interviews in linken Medien sowie Auftritte bei der DKP, der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) oder der „Roten Hilfe“. Die Beobachtung endete auch nicht, als er 2007 zum stellvertretenden Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs gewählt wurde.

Auf seine Klage stellten die Kölner Richter fest, dass die Überwachung als „schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zu bewerten ist“. In der Urteilsbegründung, die der FR vorliegt, heißt es, Gössner habe zwar vereinzelt „klassenkämpferisch anmutende Formulierungen“ verwendet und teilweise Auffassungen geäußert, wie sie auch von der DKP und ihrem Umfeld vertreten würden – etwa Kritik am KPD-Verbot, an „Berufsverboten“ und am Verfassungsschutz. Er verfolge aber nicht das „eigentliche Ziel der DKP“, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Daher sei die jahrelange Überwachung unverhältnismäßig gewesen.

Schließlich falle es unter die Meinungsfreiheit, „bestimmte Positionen zu vertreten, die auch von verfassungsfeindlichen Organisationen geäußert werden“. In vielen Beiträgen fordere Gössner „gerade die strikte Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben ein“. Ebenfalls zulässig sei die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Es sei auch nicht verfassungsfeindlich, zivilen Ungehorsam wie Besetzungen oder Blockaden zu befürworten. Gössners Mitarbeit bei der geheimdienstkritischen Zeitschrift „Geheim“ biete ebenfalls keine „ausreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“. Auch Gössners Äußerung von 1990, dass die Ostdeutschen „mehrheitlich Kohl und Bananen gewählt“ hätte, könne „nicht ernsthaft als Geringschätzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewertet werden“, schreiben die Richter.

Das BfV kann jetzt noch Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. 

http://www.fr-online.de/politik/kein-feind-der-verfassung/-/1472596/8298276/-/index.html

 

                            5.04.2011

Geheimdienstkritiker kein Feind

Kölner Gericht: Menschenrechtler jahrzehntelang rechtswidrig überwacht

Von Eckhard Stengel     (inhaltlich wie Frankfurter Rundschau vom 5.04.2011)

 

 

 / BREMER NACHRICHTEN vom 05.04.2011

 

Richter kritisieren Verfassungsschutz

Fall Gössner: Gericht begründet Urteil

 

Bremen (rk). Anfang Februar hat das Verwaltungsgericht Köln die geheimdienstliche Beobachtung des Bremer Anwalts und Publizisten Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für rechtswidrig erklärt. Nun liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor. Darin billigen die Richter den Verfassungsschützern zwar zu, Einzelpersonen zu beobachten, selbst wenn diese selbst nicht verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Sie fordern aber auch eine verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung - und hier ist der Verfassungsschutz wohl weit übers Ziel hinaus geschossen. So stellt das Gericht unter anderem fest, dass allein "die bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen noch nicht als Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung anzusehen ist, sondern nur darüber hinausgehende Aktivitäten zu ihrer Beseitigung".

Im weiteren Verlauf der Begründung betonen die Richter, bei Gössner "keine ausreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen" entdecken zu können. So sei die Sammlung von Daten über Gössner denn auch als "ein schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen" zu bewerten. Der Verfassungsschutz hatte über Gössner von 1970 bis 2008 Informationen gesammelt, weil er Kontakte zu angeblich linksextremistischen Gruppen wie die DKP hatte und in linken Publikationen Artikel veröffentlichte.

Gössner forderte Konsequenzen aus seinem Fall: "Hier hat ein Geheimdienst nicht nur seine ohnehin zweifelhaften Befugnisse missbraucht, vielmehr haben auch alle Kontrollinstanzen versagt." Solchen Institutionen müsse die "Lizenz zum Schnüffeln" entzogen werden.                                    Datum: 05.04.2011

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Bremer Nachrichten Seite: 8

 

 07.04.2011

Richterschelte für den Verfassungsschutz

Birgit Gärtner                                     www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34511/1.html

Verwaltungsgericht Köln bescheinigt Inlandsgeheimdiensten eklatanten Verstoß gegen die Meinungs- und Pressefreiheit im Falle von Rolf Gössner

Fast 40 Jahre lang, von 1970 bis 2008, ist der Bremer Jurist, Publizist und Menschenrechtsaktivist [extern] Rolf Gössner nahezu lückenlos vom [extern] Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) überwacht worden. Am 3. Februar 2011 entschied das Gericht, dass die Schnüffelei über die gesamte Zeitdauer rechtswidrig war. Dieser Tage wurde Gössner die Urteilsbegründung zugestellt. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, der Gegenseite bleibt vorbehalten, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Ebenso ist völlig unklar, welche Konsequenzen diese richterliche Bescheinigung des Verfassungsbruchs durch Staatsorgane juristisch und politisch nach sich ziehen wird.

Den Schnüfflern entging quasi nichts: seine Mitgliedschaft im Sozialistischen Hochschulbund (SHB) während seines Jurastudiums, später die Tätigkeit als Präsident, bzw. jetziger Vizepräsident der [extern] Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) und als Mitherausgeber des jährlich erscheinenden [extern] Grundrechte-Reports, seit 2007 als gewähltes parteiloses Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und selbst noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, seine Mitarbeit in der Redaktion der Zeitschrift Geheim, von ihm selbst verfasste Aufsätze in den Tageszeitungen junge Welt oder Neues Deutschland, Interviews mit und zitierte Statements von ihm in denselben Medien, Teilnahme als Referent bei Veranstaltungen der "Roten Hilfe", der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) oder der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen" (VVN-BdA).

Da es nicht verboten ist, in legalen Medien zu publizieren, oder bei legalen Parteien oder Organisationen als Referent in Erscheinung zu treten, geschweige denn als Richter zu arbeiten, erfand der BfV das beobachtungswürdige Verhalten Gössners ganz einfach: er habe diese mit seinem Auftreten als "prominenter Jurist" aufgewertet.

Die Richter des Verwaltungsgerichts (VG) Köln sahen das indes anders, und werteten Gössners Aktivitäten als "beruflichen Einzelkontakte", die nicht automatisch zu Unterstützungshandlungen zugunsten "linksextremistischer" Parteien oder Organisationen erklärt werden dürften.

Die Richter machten sich offenbar die Mühe, nicht nur zu gucken, wo Gössner schrieb oder auftrat, sondern was er schrieb oder sagte. Das Gericht stellte laut ILMR fest, dass auch scharfe, provokante, polemische oder ironische Kritik an staatlichen Sicherheitsorganen wie Polizei oder Geheimdiensten kein Grund für eine geheimdienstliche Überwachung sein darf, genauso wenig wie Gössners substantiierte Kritik etwa am KPD-Verbot, an Berufsverboten, an der Polizeientwicklung oder am Verfassungsschutz selbst. "Auch die bloße Kritik an wesentlichen Elementen der Verfassung oder tragenden Bestandteilen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, so die Richter, reiche als Anlass nicht aus, um eine verfassungsfeindliche Bestrebung zu bejahen und einen Staatskritiker unter geheimdienstliche Beobachtung zu stellen" ist in der Pressemitteilung zu lesen.

Die Richter kamen zu dem überraschenden Schluss: "Was allgemein seine Haltung zu verfassungsrechtlichen Grundlagen betrifft, fordert der Kläger in vielen Beiträgen gerade die strikte Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben ein…" Im Falle Gössner gebe es "keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung", so das Fazit der Richter.

Im Jahre 2005 erstattete Gössner beim VG Köln Anzeige gegen das BfV. Bis März 2008, kurz vor der ersten mündlichen Verhandlung, wurde die Beobachtung fortgesetzt. Um dann mit der Begründung, die politische Gefährdungslage und das daraus resultierende Beobachtungsverhalten des Staatsschutzes habe sich durch den internationalen Terrorismus geändert, abrupt beendet zu werden. Gössner konnte durchsetzen, dass seine Anwälte Einsicht in das mehr als 2000 Seiten umfassenden Dossier erhielten. Dies war jedoch in großen Teilen geschwärzt - aus Gründen des Personenschutzes, wie es hieß.

Klar ist jedoch, dass diese bizarre Langzeit-Studie nur mit einem Netz von Schnüfflern möglich war, denen auch die nebensächlichsten Aktivitäten Gössners nicht entgangen ist...

Die Dauerüberwachung des Klägers durch den bundesdeutschen Inlandsgeheimdienst, konkret: durch das beklagte Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), und die während dieses Zeitraums erfolgte Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten über den Kläger waren von Anfang an bis zur Beendigung der Beobachtung Ende 2008 rechtswidrig. "Das ist ein sensationelles Urteil, auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist", so Rolf Gössner.

 

 

Medienecho (Auswahl) nach der Urteilsverkündung 2/2011

                         Süddeutsche Zeitung 04.02.2011

Rechtswidrig beobachtet

Bremen – Der Verfassungsschutz hat jahrzehntelang rechtswidrig den Bremer Anwalt, Publizisten und Menschenrechtler Rolf Gössner beobachtet. Das hat das Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag festgestellt. Es gab damit einer Klage Gössners gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) statt. Gössner, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretendes Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs ist, hatte durch eine Anfrage beim BfV erfahren, dass der Verfassungsschutz seit 1970 Daten über seine Kontakte zu „linksextremistischen beziehungsweise linksextremistisch beeinflussten“ Medien und Organisationen gesammelt hatte. Die Verwaltungsrichter stellten jetzt fest, dass es „keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Beobachtung und Sammlung von Daten zur Person des Klägers gegeben“ habe. Reuters

Süddeutsche Zeitung 05.02.2011

Bürgerrechtler im Visier des Verfassungsschutzes

Vierzig Jahre unter Beobachtung

Von Wolfgang Janisch

Er war der Exponent einer Szene linker Juristen, hinterfragte den Sicherheitsstaat, prangerte Polizeipraktiken an. Jetzt hat ein Gericht festgestellt, dass die jahrelange Beobachtung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner rechtswidrig war.

Die Kritik an staatlicher Überwachung gehört zu seinen Lebensthemen - das ist die Pointe des juristischen Erfolgs, den der Bürgerrechtler Rolf Gössner vor dem Verwaltungsgericht Köln erzielt hat. Das Gericht hat festgestellt, dass die fast vier Jahrzehnte währende Beobachtung des Publizisten und Rechtsanwalts durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war. Noch ist der Spruch nicht rechtskräftig und ohne Begründung, aber er wirft ein Schlaglicht auf eine bizarre Episode geheimdienstlicher Praktiken.

Kritik an staatlicher Überwachung ist sein Lebensthema:
Der linke Bürgerrechtler Rolf Gössner. (© Niels P. Jørgensen)

Der 62-jährige Gössner ist ein aktiver Exponent einer Szene linker Juristen. Seine Publikationen hinterfragen den Sicherheitsstaat, warnen vor der Erosion der Bürgerrechte, prangern Polizeipraktiken an, geißeln Berufsverbote. Im Habitus gilt er als zurückhaltend; seine Schriften sind zwar pointiert kritisch, aber argumentativ gehalten. In der Bürgerrechtsszene hat er es weit gebracht: Er ist stellvertretendes Mitglied des Bremischen Verfassungsgerichtshofs, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Reports" - der bisweilen von den einstigen Verfassungsrichtern Jutta Limbach und Jürgen Kühling präsentiert worden ist.

Ins Visier des Verfassungsschutzes geriet er seinem Anwalt Udo Kauß zufolge 1970, als er auf der Liste des Sozialistischen Hochschulbundes kandidierte. Zuletzt warf man ihm mangelnde Distanz zu den Verbrechen der kommunistischen Regime vor - und diffamierende Kritik der bundesdeutschen Sicherheitspolitik. 2008 wurde die "fürsorgliche Belagerung" beendet - das Böll-Wort gebraucht Gössner selbst. Da war seine nunmehr entschiedene Klage bereits anhängig. Immerhin habe das Amt versichert, Gössner sei nicht mit "nachrichtlichen Mitteln" - vulgo: Wanzen - überwacht worden.

Kurios ist, dass nach den Worten von Kauß in den Akten des Verfassungsschutzes nicht davon die Rede ist, dass Gössner wegen linksextremistischer Inhalte seiner Schriften beobachtet worden sei. Jedenfalls, soweit die Akten lesbar waren - 80 Prozent der 2000 Seiten seien vor der Herausgabe geschwärzt worden. Anlass der Beobachtung seien Gössners Kontakte zum linksextremistischen Spektrum gewesen, etwa zur DKP, zur "Roten Hilfe" oder zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dass Gössner dort nicht Mitglied gewesen sei, habe ihn aus Sicht des Bundesamts nur noch verdächtiger gemacht. "Dabei agiert er ganz bewusst nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation" - um seine Glaubwürdigkeit als "vermeintlich unabhängiger Experte" zu wahren, zitiert Gössner das Bundesamt.

Seine Schlussfolgerung: "Nicht was ich sagte oder schrieb, war für die Beobachtung entscheidend, sondern in welchem politischen Umfeld dies geschah."

 

Kommentar

Zwei Drittel eines Lebens

Es könnte eine Posse sein, allerdings wird der Betroffene kaum darüber lachen können. Vier Jahrzehnte lang schleicht der Verfassungsschutz einem Menschen hinterher, der so ganz und gar nicht ins Bild des konspirativen Verschwörers passt. Rolf Gössner schreibt und redet, all dies geschieht höchst öffentlich, trotzdem wurde er überwacht. Jeder kann seine Schriften in Büchern und Zeitschriften nachlesen, man kann sie richtig oder falsch finden. Doch es sind weniger seine Ansichten, die Gössner beim Geheimdienst in den Ruch des Umstürzlers gebracht haben, es sind die falschen Freunde, denen er diese Ansichten mitgeteilt hat - Linksextremisten, Kommunisten, Antifaschisten.

Gewiss: Man sollte nicht vergessen, dass der Verfassungsschutz zu Zeiten des Kalten Krieges tatsächlich subversive Aktivitäten abzuwehren hatte, die jenseits der innerdeutschen Grenze ihren Ursprung hatten und auf die Instrumentalisierung des linken Milieus zielten. Nach wie vor ist es seine legitime und wichtige Ausgabe, den Staat vor Angriffen auf seine freiheitliche Substanz zu schützen.

Im Fall Gössner hat der Verfassungsschutz jedoch jedes Maß verloren. Das zeigt schon der schiere Zeitraum: Zwei Drittel seiner Lebenszeit war Gössner auf dem Radarschirm der Geheimdienstler, Dossiers wurden angelegt, Informationen in die einschlägigen Datenbanken eingespeist. Wohlgemerkt: Gössner hat keine Autos abgefackelt und kein Gleisbett geschottert, er ist ein Mann des Wortes. Sicherlich einer, der dem Staat gehörig auf die Nerven gehen kann – aber eben auch einer, der den Finger in die Wunde legt. Der Staat muss vor seinen Feinden geschützt werden, nicht vor seinen Kritikern.

 

Politik - 4 | 2 | 2011

Verfassungsschutz

Fast 40 Jahre lang rechtswidrig überwacht

Wurde unrechtmäßig vom Verfassungsschutz beobachtet: Der Menschenrechtler Rolf Gössner. Foto: Angelika Scheffler

Wurde unrechtmäßig vom Verfassungsschutz beobachtet: Der Menschenrechtler Rolf Gössner.

Von Eckhard Stengel

Fast vier Jahrzehnte lang hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) rechtswidrig den Bremer Menschenrechtler, Publizisten und Rechtsanwalt Rolf Gössner (62) beobachtet. Das hat das Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag festgestellt. Der parteilose linke Geheimdienstexperte ist auch Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitherausgeber des alljährlichen „Grundrechte-Reports“. 1996 hatte er durch eigene Auskunftsersuchen erfahren, dass der Geheimdienst seit 1970 ständig Daten über ihn sammelte – wegen Kontakten zu „linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten“ Organisationen und Medien.

Das BfV registrierte vor allem Gastbeiträge und Interviews Gössners, etwa in der maoistischen Zeitung Arbeiterkampf, sowie Auftritte bei der DKP, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Roten Hilfe und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch für die Frankfurter Rundschau schrieb Gössner. Erst als er Klage erhob, beendete das BfV 2008 die Überwachung und kam dem jetzt verkündeten Urteil zuvor.

Die Begründung der Richter steht noch aus. Gössner hatte argumentiert, ihm werde „eine Art Kontaktschuld“ zur Last gelegt, nicht etwa eigene verfassungswidrige Beiträge oder Bestrebungen. Die „ungeheuerliche und rekordverdächtige“ Dauerüberwachung habe seine Persönlichkeitsrechte, seine Meinungs- und Berufsfreiheit verletzt und das Vertrauensverhältnis zu seinen Anwaltsmandanten gefährdet.

Laut Gössner legte das BfV während seiner Ausbildung und seines gesamten bisherigen Berufslebens mehr als 2000 Seiten Akten über ihn an – obwohl er sogar als Gutachter in Bundes- und Landtagsausschüssen sowie als Referent in Polizeiakademien und beim hessischen Verfassungsschutz auftrat. In Bremen ist er seit 2007 stellvertretendes Mitglied des Staatsgerichtshofs.

Während des langwierigen Rechtsstreits legte die Behörde die Akten nur teilweise offen. Rund 80 Prozent seien geheim gehalten worden, um Quellen zu schützen, sagte Gössner der Frankfurter Rundschau. Das BfV habe zwar versichert, ihn weder gezielt observiert noch sein Telefon überwacht zu haben, aber offenbar hätten Spitzel in Veranstaltungen gesessen, in denen auch er aufgetreten sei.

Das BfV will jetzt das Urteil „sorgfältig prüfen“ und danach über mögliche Rechtsmittel entscheiden, sagte eine Sprecherin der Rundschau. Mehr wollte sie zu dem Fall nicht sagen.

Die Internationale Liga für Menschenrechte forderte nach dem Urteil, die „skandalöse und rechtswidrige Langzeitüberwachung darf nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben“. Zumal es sich nicht um einen Einzelfall handeln dürfte. Der Verfassungsschutz schütze nicht die Verfassung, sondern sei „selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat“. Mit dem Fall müsse sich auch der Bundesrechnungshof beschäftigen – „wegen Verschwendung öffentlicher Gelder“.         © 2010 Frankfurter Rundschau

 

 04.02.2011

Bürgerrechtler gewinnt Prozess

40 Jahre zu Unrecht bespitzelt

Jahrzehnte lang hat der Verfassungsschutz den Bürgerrechtler Rolf Gössner rechtswidrig ausgespäht, urteilt Verwaltungsgericht Köln. Wer ihn denunziert hat, erfährt Gössner nicht.

 Foto: dpa

Gerade weil Rolf Gössner, der Vizepräsident der Liga für Menschenrechte,
nicht Mitglied einer extremistischen Partei war, war er dem Verfassungsschutz suspekt.

BREMEN taz | Fast 40 Jahre lang hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Rechtsbruch begangen. Das geht aus einem Urteil hervor, das das Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag gefällt hat. Das Gericht gab damit der Klage des Bremer Rechtsanwalts und Vizepräsidenten der Liga für Menschenrechte Rolf Gössner in vollem Umfang statt.

Gössner hatte das Bundesamt 2007 verklagt, weil es ihn seit 1970 unausgesetzt beobachtete. Damals studierte er noch in Freiburg. Anschließend war Gössner in Bremen Gerichtsreferendar, hat später an der dortigen Uni promoviert und schließlich auch gelehrt. Von 1990 bis 2001 beriet er die niedersächsische Grünen-Fraktion. Immer blieb der Inlandsgeheimdienst dran. Selbst als die Bremische Bürgerschaft den parteilosen Juristen 2007 zum stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof, dem Landesverfassungsgericht, wählte, dauerte die Observation an.

Eingestellt wurde sie erst Ende 2008, kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlung. Die Sicherheitslage habe sich verändert, hieß es plötzlich. Geheim bleibt, was genau sich 19 Jahre nach dem Mauerfall verändert hatte. "Ich werde schauen, ob sich das Fachreferat dazu äußert", sagte dazu eine Sprecherin des Verfassungsschutzes. Zum Urteil könne "derzeit gar nichts gesagt werden", sie bitte um Verständnis: "Das müssen wir erst verdauen." Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.

Das gilt auch für den Großteil der 2.000 Blatt starken Gössner-Akte: Der Innenminister verweigerte die komplette Freigabe, nur 15 Prozent des Dossiers sind zugänglich. Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem "in camera"-Verfahren - bei dem Richter und Geheimdienstvertreter hinter ver­schlossenen Türen die Akte sichten - das Geheimhaltungsbedürfnis bejaht.

Problematisch ist das auch für die persönliche Aufarbeitung. "Ich muss versuchen, mir diesen Teil meiner Lebensgeschichte wiederanzueignen", sagte Gössner. Anders als ein Stasi-Opfer wird er dabei aber nicht erfahren, wer ihn zu Unrecht denunziert und ausgespäht hat. Auskunft über die Anzahl ähnlicher Fälle gibt das Bundesamt nicht.

Besorgniserregend ist das, weil der Anlass für die Gössner-Bespitzelung so nichtig war: Er firmierte 1970 auf einer Liste des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, ohne Mitglied der damals SPD-nahen Vereinigung zu sein oder später einer Partei beizutreten. Gerade das fand der Verfassungsschutz auffällig: Der Bremer, so die perfide Argumentation, agiere "ganz bewusst nicht als Mitglied einer extremistischen Partei, weil er so seine Glaubwürdigkeit zu wahren versucht". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (bes)

 

Überwachungsaufträge müssten Verfallsdatum haben

Spitzel ohne Kontrolle

KOMMENTAR VON JAN KAHLCKE

Was ist das eigentlich für ein Land, in dem der Geheimdienst einen Verfassungsrichter bespitzeln kann - mit der Begründung, er habe bewusst nicht als Mitglied einer extremistischen Partei agiert? Es sieht aus, als habe das Bundesamt für Verfassungsschutz alles daran setzen wollen, jenem frühen Rolf Gössner Recht zu geben, der im Jahr 1984 (!) mit dem Buch "Der Apparat" das Bild eines ausufernden Polizeistaates zeichnete - und damit einem in linken Kreisen verbreiteten Lebensgefühl eine Fakten-Grundlage verschaffte.

Aber wahrscheinlich gibt es bei den Geheimdiensten einfach nur keine Kontrollmechanismen für angeleierte Überwachungsmaßnahmen. Wer ein­mal in die Fänge der Verfassungsschützer geraten ist, kommt nicht wieder raus - auch wenn er selbst längst Hüter der Verfassung in Robe ist. Es sei denn er wehrt sich juristisch. Die Behauptung, die Beobachtung Gössners sei 2008 aufgrund einer veränderten Sicherheitslage eingestellt worden je­den­falls, darf als dreiste Lüge gelten.

Dabei wäre es so einfach: Jeder Überwachungsauftrag müsste mit einem Verfallsdatum versehen und bei dessen Ablauf von einer zweiten Instanz begutachtet werden. Und die "Opfer" der Beobachtung müssten davon regelhaft informiert werden - damit sie sich wehren können. Für skandalöse Altfälle wie Gössner müsste eigentlich eine VS-Unterlagenbehörde nach Stasi-Vorbild zuständig sein.

 

Menschenrechtler Gössner über seinen Prozessausgang

"Ich vermisse nichts"

Fast 40 Jahre lang hat der Inlandsgeheimdienst den Bremer Menschenrechtler Rolf Gössner bespitzelt. Rechtswidrig war das von Anfang bis Ende, hat das Verwaltungsgericht Köln gestern geurteilt.

Anwalt unter Beobachtung: Rolf Gössner (r.) vertrat den im Mai 1994 von Polizeibeamten
misshandelten Journalisten Oliver Neß (l.). Foto: dpa

taz: Herr Gössner, herzlichen Glückwunsch! Hatten Sie dieses Urteil erwartet?

Rolf Gössner: Nein, nicht unbedingt in dieser Klarheit.

Wie weit kennen Sie jetzt Ihre Verfassungsschutz-Akte?

Von meiner etwa 2.000 Blatt umfassenden Personenakte sind 80 Prozent geschwärzt oder ausgetauscht. Das Bundesinnenministerium hatte eine entsprechende Sperrerklärung verfügt -aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls muss der Großteil der Akte geheim gehalten werden. Auch das Verwaltungsgericht konnte nicht die vollständige Akte einsehen.

Lässt sich das nicht einklagen?

Gegen diese Weigerung hatte ich parallel vorm Bundesverwaltungsgericht geklagt, um die Geheimhaltung in einem In-camera-Verfahren überprüfen zu lassen.

In-camera-Verfahren?

Das ist ein Geheimverfahren ohne Mitwirkung des Klägers: Die Geheimdienstmethoden verlängern sich bis in justizielle Verfahren. Nach Auswertung der gesperrten Aktenteile kamen die höchsten Verwaltungsrichter zum Ergebnis, dass diese weiter geheim bleiben müssten.

Aber jetzt ändert sich das?

Nein, beim vorliegenden Urteil ging es um die Frage der Rechtswidrigkeit der Beobachtung und der Personenakte. Das Urteil ändert nichts daran, dass der größte Teil der - für rechtswidrig erklärten - Akte geheim gehalten wird. Die Geheimhaltungsgründe existieren weiter.

Aber ist das nicht schwer erträglich: Sie wissen, Sie wurden bespitzelt, womöglich von Menschen des eigenen Umfelds, und wissen nicht, von wem?

Das gehört zum Geheimdienstgeschäft: der Schutz vor Enttarnung menschlicher Quellen, also der Zuträger des VS. Die, so steht es in der Sperrverfügung des Bundesinnenministeriums, wären an Leib und Leben gefährdet, wenn ich deren Identität erfahren würde!

Ist für Sie denn wenigstens klar geworden, was 1970 Anlass der Überwachung war?

Erst beriefen sich die Prozessvertreter auch da auf Geheimhaltungspflichten: Sie dürften nicht sagen, weshalb ich in die Beobachtung geraten bin. Später behaupteten sie, meine Mitgliedschaft im Sozialdemokratischen Hochschulbund sei der Anlass gewesen - obwohl ich nie Mitglied war.

Seit wann wussten Sie von der Überwachung?

Seit meinem ersten Antrag auf Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten. Das war 1996. Und siehe da: Es kam als Antwort gleich ein ganzes Dossier, das bis ins Jahr 1979 zurückreichte.

Aber ein Gefühl des Beobachtetseins gab es schon vorher?

Sicher, dieses Gefühl gab es etwa bei heiklen Recherchen über bundesdeutsche Sicherheitsorgane immer wieder, insbesondere im Zusammenhang mit meinen Büchern. Es war nicht immer nur ein Gefühl …

Hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

Da stellt man sich tatsächlich die Frage, was das Wissen um die eigene Beobachtung und die Negativbewertung durch den Verfassungsschutz mit mir und aus mir machen, ob sich mein Verhalten dadurch ändert, ob ich mich womöglich schleichend anpasse, also Themen oder Kontakte meide - ob also die Schere im Kopf seitdem klammheimlich ihr zerstörerisches Unwesen treibt. Ich hoffe, dass ich dies alles einigermaßen unbeschadet überstanden habe - obwohl die ganze Angelegenheit wertvolle Lebenszeit und -kraft gekostet hat.

Eingestellt wurde die Beobachtung 2008 wegen einer veränderten Bedrohungslage?

Ja, die Bedrohungslage habe sich geändert und die knappen Ressourcen müssten nun für andere Schwerpunkte eingesetzt werden - nach 39 Jahren, in deren Verlauf die DDR unter- und der Kalte Krieg zu Ende gegangen und der internationale Terrorismus als neue Gefahr erkannt worden waren! Die teils merkwürdige, teils unglaubwürdige, teils lächerliche Begründung lässt eher darauf schließen, dass nach einem Notausstieg gesucht wurde, um eine unhaltbare Situation zu beenden.

Hat dabei eine Rolle gespielt, dass Sie mittlerweile Bremer Verfassungsrichter sind?

Das weiß ich nicht. Aber das Verwaltungsgericht hatte 2008 schon beim Bundesamt nachgefragt, ob nach meiner Wahl zum stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof nicht eine neue Situation eingetreten sei. Darauf antwortete der VS ganz ungerührt: Nein, auch Richter könnten geheimdienstlich beobachtet werden, wenn die Voraussetzungen vorlägen. Und das sei bei mir der Fall. Wenige Monate später kam dann die Mitteilung, dass die Beobachtung eingestellt worden sei.

Wie lebt es sich, so ungeschützt?

Danke, gut. Das werde ich häufiger gefragt. Die Beobachtung war fester Bestandteil des größten Teils meines Lebens; da ist es schon eine Umstellung, so staatsschutzlos zu leben. Aber ich vermisse nichts und ich fühle mich erleichtert.

Trauen Sie der Einstellung?

Da kann man sich nie sicher sein - zumal die Beobachtung ja jederzeit wieder aufgenommen werden könnte. Doch nach diesem sensationellen Urteil dürfte die Hürde höher liegen. Insofern gibt es jetzt mehr Schutz, auch für andere.

INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER

 

  04. Februar 2011

Dienst überwacht Anwalt 38 Jahre

Gericht: Aktion rechtswidrig                                              von Sigrid Averesch

 

BERLIN. Das Kölner Verwaltungsgericht hat die 38 Jahre lang währende Überwachung des Bremer Rechtsanwalts und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz für rechtswidrig erklärt. Auch das Anlegen der 2 000 Seiten starken Akte habe die 20.Kammer des Verwaltungsgerichts für rechtswidrig erachtet, teilte gestern die Bürgerrechtsorganisationen Humanistische Union mit. Gössner darf zudem Einsicht in die Berichte des Kölner Bundesamtes nehmen. "Diese Entscheidung hat dem Beobachtungsgebaren des Verfassungsschutzes deutliche Grenzen gesetzt und die Verfassungspositionen der Bürgerinnen und Bürger gestärkt", erklärte Martina Kant, Bundesgeschäftsführerin der Humanistischen Union. "Dem Schutz vor staatlicher Überwachung wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit rückwirkend endlich Geltung verschafft."

Proteste gegen Bespitzelung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte ihn von 1970 an bis zum November 2008 beobachtet, angeblich weil er Kontakt zu linksextremistischen Personen habe. Das Ausspähen war Mitte der 90er- Jahre bekannt geworden. Damals gab es auch Proteste gegen die Bespitzelung des Rechtsanwalts.

Der 62 Jahre alte Jurist Gössner ist stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Hansestadt Bremen sowie Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft. Er gibt die Zeitschrift Ossietzky und den Grundrechte-Report mit heraus. Zudem ist der streitbare Jurist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. 2009 hatte er in Berlin an einer Großdemonstration "Freiheit statt Angst. Gegen den Überwachungswahn" teilgenommen. (sav.)

 

Neues Deutschland                        04.02.2011 / Inland / Seite 4

Gössner siegt gegen Schlapphüte

Gericht: Bespitzelung des Anwalts war rechtswidrig

Berlin (ND-Lambeck). Die jahrzehntelange Beobachtung des Bremer Rechtsanwalts und Publizisten Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz (VS) war von Anfang an rechtswidrig. Dies entschied das Kölner Verwaltungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil. Gössner geriet bereits im Jahre 1970 ins Visier der Schlapphüte. Gegen die Bespitzelung durch den Verfassungsschutz hatte Gössner bereits im Frühjahr 2006 Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Im Jahr 2008 teilte der Geheimdienst Gössner schließlich mit, dass man seine Beobachtung nach 39 Jahren eingestellt habe und alle über ihn erhobenen Daten »löschungsreif« seien. Dabei galt Gössner selbst nicht als »Extremist«. Seine Beobachtung erfolgte auf Grundlage einer von der Behörde konstruierten »Kontaktschuld«. Man interessierte sich für Gössners berufliche Kontakte zu angeblich »linksextremistisch beeinflussten« Gruppen, Veranstaltern und Presseorganen. Dazu zählte die Kölner Behörde auch »Neues Deutschland«.

Rolf Gössner, der auch als stellvertretender Richter am Bremer Staatsgerichtshof arbeitet, zeigte sich am Donnerstag erleichtert über die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes: »Dieses Urteil ist eine herbe Niederlage für den Inlandsgeheimdienst, dessen geheime Dauerüberwachungstätigkeit in vollem Umfang für unverhältnismäßig und rechtswidrig erklärt wird.«

URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/190094.goessner-siegt-gegen-schlapphuete.html

 

 

Kommentar von Fabian Lambeck 04.02.2011 /

Wetten, dass ...

Wetten, dass sie in den großen deutschen Medien vergeblich nach einer Meldung über den Fall Gössner suchen werden? Dabei hat der Fall alles, was eine gute Story ausmacht: eine außer Kontrolle geratene Schnüffel-Behörde, massenhaft geschwärzte Akten und einen unbescholtenen Anwalt, der ins Fadenkreuz des Geheimdienstes gerät. Doch selbst das sonst an jedem Skandal interessierte Internetmagazin »Spiegel-Online« berichtete gestern nicht über das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichtes, das einen Schlussstrich unter den Fall zieht. Die Richter stellten eindeutig fest, dass die jahrzehntelange Bespitzelung des Bremer Anwalts Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz rechtswidrig gewesen ist. Seit 1970 stand Gössner unter Beobachtung. Einziger Vorwurf: sein beruflicher Kontakt zu linksex­tremistischen Gruppen. In seinem Spitzelwahn legte der Verfassungsschutz eine 2000 Seiten umfassende Akte an. Zwar musste die Behörde letztendlich die Akte rausrücken, doch ließ man auf Geheiß des Bundesinnenministers etwa 85 Prozent ihres Inhalts schwärzen. Begründung: Man fürchte um Leben, Gesundheit oder Freiheit von V-Leuten, Hinweisgebern und VS-Bediensteten. Ein dickes Ding. Trotzdem berichteten die Medien kaum darüber. Kann es sein, dass es nicht ins Bild passt, dass auch westdeutsche Geheimdienste inoffizielle Mitarbeiter auf unliebsame Zeitgenossen ansetzten? Der Verfassungsschutz war ein Kind des Kalten Krieges. Seine Mitarbeiter bespitzelten zehntausende Bundesbürger, schleusten V-Leute in oppositionelle Gruppen und bedienten sich auch sonst wenig vornehmer Methoden. Wetten, dass die Sieger der Geschichte das heute nicht mehr wahrhaben wollen?

 

Tageszeitung junge Welt 04.02.2011 / Inland / Seite 1


Gössners Bespitzelung war verfassungswidrig

Bremen. Die fast vierzigjährige Beobachtung des Bremer Rechtsanwalts und Publizisten Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz war von Anfang an rechtswidrig. Dies hat das Kölner Verwaltungsgericht nach Angaben Gössners am Donnerstag entschieden. Wie der stellvertretende Richter am Bremischen Staatsgerichtshof weiter mitteilte, ist ihm auch das Recht auf Einsicht in seine Akte zugesprochen worden.Der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte wurde von 1970 bis 2008 vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihm wurden berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich linksextremistischen und »links­extremistisch beeinflußten« Gruppen und Presseorganen zur Last gelegt. (jW)

 

Tageszeitung junge Welt 04.02.2011 / Inland /                    04.02.2011 / Abgeschrieben / Seite 8

Sensationelles Urteil

Die Internationale Liga für Menschenrechte erklärte am Donnerstag zur Verurteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz wegen 40jähriger rechtswidriger Beobachtung des Bremer Rechtsanwaltes Rolf Gössner durch das Verwaltungsgericht Köln:

Mit diesem sensationellen Urteil bescheinigt das Gericht dem Verfassungsschutz einen beispiellosen Dauerrechtsbruch, der nur noch als rechtsstaatswidrig und skandalös zu bezeichnen ist. Dieser Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern ist offenbar selbst eine Gefahr für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Heute hat das Verwaltungsgericht Köln sein Urteil in dem Verfahren Dr. Gössner/Bundesrepublik Deutschland verkündet, in dem es um die fast 40jährige geheimdienstliche Beobachtung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner geht. Das Urteil lautet: »Es wird festgestellt, daß die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.«

Kläger Rolf Gössner: »Dieses Urteil ist eine herbe Niederlage für den Inlandsgeheimdienst, dessen geheime Dauerüberwachungstätigkeit in vollem Umfang für unverhältnismäßig und rechtswidrig erklärt wird.« Liga: »Diese skandalöse und rechtswidrige Langzeitüberwachung darf nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben – zumal wenn man bedenkt, daß es sich hier um keinen Einzelfall handeln dürfte. Diese aufwendige Überwachungsgeschichte ist auch ein ganz dringlicher Fall für den Bundesrechnungshof – wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.« Gössners Anwalt Dr. Udo Kauß: »Diese Entscheidung ist wirklich ein Meilenstein. Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozeß vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässiger Weise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste. Das Amt wird seine Beobachtungs- und Erfassungspraxis gründlich ändern müssen.«

Rolf Gössner stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) – schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident/Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports, seit 2007 als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und selbst noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Erst am 13.11.2008, unmittelbar vor der ersten mündlichen Verhandlung, wurde die Beobachtung überraschend und mit erstaunlicher Begründung eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte – ohne daß diese jemals selbst als »Extremist« oder »Verfassungsfeind« eingestuft wurde. (...)

 

   05.02.2011 / Inland / Seite 2

 

»Letztlich geht es um die Meinungsfreiheit«

Die Neue Richtervereinigung begrüßt das Urteil gegen Überwachung
von Rechtsanwalt Gössner. Ein Gespräch mit Christine Nordmann

Gitta Düperthal

Christine Nordmann ist Sprecherin des Vorstandes der Neuen Richtervereinigung und Richterin am Verwaltungsgericht in Schleswig

Seit 1970 hat der Verfassungsschutz Rechtsanwalt Rolf Gössner wegen angeblicher Kontakte zu »linksextremistischen« Gruppen überwacht. Das Verwaltungsgericht Köln hat das jetzt als rechtswidrig eingestuft. Wie bewertet die Neue Richtervereinigung das Urteil?

Wir begrüßen diese Entscheidung auf jeden Fall, obgleich die Urteilsbegründung noch nicht vorliegt. Herr Gössner selber ist nie als Extremist oder Verfassungsfeind eingestuft worden. Es ging nur immer darum, ihn im Zusammenhang mit seinen Kontakten zu überwachen, die er in seiner beruflichen Tätigkeit hatte. Er wurde beobachtet, weil er Kontakte zu Organisationen wie DKP, Rote Hilfe, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) hatte, aber auch zu Presseorganen aus dem linken Spektrum. Das fast 40 Jahre lang zum Gegenstand der Überwachung zu machen, heißt nichts anderes, als daß der Verfassungsschutz in Rechte eingegriffen hat, die wir in einer demokratischen Rechtsordnung doch bewahren müssen.

Welche Bedeutung hat die Überwachung für das Leben von Rolf Gössner gehabt?

Soweit ich weiß, ist ihm erst 1996 bekannt geworden, daß er bespitzelt wurde – die ersten 26 Jahre hat er es zumindest nicht gewußt. Für die übrige Zeit muß man sich vorstellen, wie problematisch es ist, wenn man sich in allen beruflichen Belangen überwacht fühlt. Als Anwalt hat er ein Mandantengeheimnis zu wahren, als Publizist den Informantenschutz zu gewährleisten. In diesen Tätigkeiten ist er Berufsgeheimnisträger und zur Vertrauenswürdigkeit verpflichtet. Ich stelle es mir mehr als belastend vor, wenn er das nicht garantieren kann. Und als Menschenrechtler, Präsident – und später Vizepräsident – der Internationalen Liga für Menschenrechte muß er sich in ausforschungsfreier Sphäre bewegen können, um wirklich unabhängig agieren zu können.

Der Überwachungseifer, den das Gericht in Gössners Fall für rechtswidrig erklärt hat, betrifft auch andere Personen, die sich politisch links orientieren, unter anderem Rechtsanwälte, Journalisten, Politiker und Menschenrechtler. Ist zu erwarten, daß der Verfassungsschutz nach dem Urteil vorsichtiger agieren wird?

Die Entscheidung betrifft nur den Fall Gössner – allerdings ist zu hoffen, daß sich aus der Urteilsbegründung Grundsätze ergeben, die über den Einzelfall hinausgehen. Es sollte klar werden, daß die Überwachung eines engagierten, regierungsunabhängigen und kritischen Bürgers, der damit den demokratischen Rechtsstaat fördert, unverhältnismäßig ist. Herr Gössner fürchtet, daß viele seiner Kollegen, sowie Menschen aus ähnlichen Berufsbereichen betroffen sind. Insofern ist zu hoffen, daß aus der Urteilsbegründung hervorgeht, daß der Verfassungsschutz sich zurücknehmen muß.

In welcher Weise ist die Demokratie gefährdet, wenn Personen, die nicht regierungstreu oder kritisch zum Kapitalismus eingestellt sind, überwacht werden?

Letztlich geht es um nichts Geringeres als die Wahrung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wenn ich nicht mehr die Möglichkeit habe, mir im geschützten Raum eine eigene Meinung zu bilden und diese kundzutun, ist ein demokratischer Diskussionsprozeß nicht mehr gewährleistet – das sind jedoch Werte, die unsere Verfassung und das Bundesverfassungsgericht hochhalten.

Politiker der Partei Die Linke verwehren sich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz; die Organisation »Die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten« protestiert dagegen, daß ihre Einladung an Flüchtlinge zu einer Konferenz in Berlin an die Abteilung Staatsschutz weitergeleitet wurde – hat das Urteil für solche Fälle Bedeutung?

Wenn man jemanden wie Gössner so lange überwacht, sind potentiell all diejenigen betroffen, die kritisch über diesen Staat nachdenken, publizistisch tätig sind oder Kontakte zu kritischen Organisationen haben. Ihm wurde ja vor allem letzteres vorgeworfen.

Ist nicht auch im Fall dieser »Kontakte« zu fragen, warum sie eigentlich im Visier des Geheimdienstes sind?

Diese Frage stelle ich mir auch. Wieso gehört die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes dazu – weil einige Kommunisten dort organisiert sind? Was unterstellt man ihr? Diese Organisation bewegt sich doch völlig im legalen Bereich.

 

BREMER NACHRICHTEN  03.02.2011 - 0 Kommentare

Bremer Rechtsanwalt erzielt Erfolg vor Verwaltungsgericht

Gössner 38 Jahre lang zu Unrecht observiert

Von Rainer Kabbert

Bremen. Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner ist fast vier Jahrzehnte lang rechtswidrig vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet worden. Dies hat nach Informationen des WESER-KURIER das Kölner Verwaltungsgericht entschieden.

Es habe keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Beobachtung und Sammlung von Daten zur Person des Klägers gegeben, heißt es in der Begründung der Kölner Richter.

Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner ist jahrelang rechtswidrig vom Verfassungsschutz beobachtet worden.

© Stoss

Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner ist jahrelang rechtswidrig vom Verfassungsschutz beobachtet worden.

Wie Gössner mitteilte, ist ihm auch das Recht auf Einsicht in seine Akte zugesprochen worden. Gössner wurde schon 1970 als 22-jähriger Student beobachtet. 2008 hörte das Bundesamt für Verfassungsschutz auf, Daten über ihn zu sammeln. Ihm wurden berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich linksextremistischen und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen, Veranstaltern und Presseorganen zur Last gelegt.

Der Anwalt ist auch stellvertretender Richter am Bremer Staatsgerichtshof und Vize-Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Gegen das Urteil kann Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster eingelegt werden.

 BREMER NACHRICHTEN 04.02.2011

 

38 Jahre rechtswidrig beobachtet
Klage gegen Verfassungsschutz:
Verwaltungsgericht gibt Anwalt Gössner Recht

Von Rainer Kabbert ·

Köln. Alles illegal. Fast vier Jahrzehnte konnte sich der Bremer Anwalt und Publizist Rolf Gössner der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sicher sein. Nun hat das Kölner Verwaltungsgericht den Schlapphüten bescheinigt, dass ihre Sammelwut rechtswidrig war. Gössner fordert denn auch "politische Konsequenzen" und alarmiert den Bundesrechnungshof - "wegen Verschwendung öffentlicher Gelder".

Der Fall Rolf Gössner steckt voller Kuriositäten. Wäre die Langzeitüberwachung nicht so belastend für den Betroffenen und zersetzend für die politische Kultur gewesen, ließe sich eine lustige Satire schreiben. Sie begann 1970, als Gössner noch nicht stellvertretender Richter am bremischen Staatsgerichtshof war - also einer Institution, die über die Verfassung wacht. Dazu fühlt sich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz berufen und sammelte alles, was Gössner sagte, schrieb, machte. Als Jurastudent, Gerichtsreferendar, Schriftsteller, Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater der Grünen und der Linkspartei, nicht zuletzt auch als Referent vor Polizisten und Verfassungsschützern. Die Akte ist über die Jahre auf fast 2000 Seiten angewachsen. Damit war erst Ende 2008 Schluss, kurz vor der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Kölner Verwaltungsgericht. Bereits im Frühjahr 2006 hatte der promovierte Jurist (Jahrgang 1948) geklagt: Er wollte vollständige Einsicht in seine Akte sowie dessen Löschung. Zudem sollte die Rechtswidrigkeit der Beobachtung festgestellt werden.

Ein kritischer Autor 1996 wurde öffentlich, wie sehr sich die Verfassungsschützer für das Gedankengut des kritischen Autors (unter anderem: "Geheime Informanten", ein Buch über V-Leute) und Mitherausgebers des Gundrechte-Reports interessierten. 1997 begründete die Bundesregierung diese Aktivitäten mit Paragraf 3 Absatz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes: Es geht um "Bestrebungen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung... gerichtet sind". Die Gössner-Überwachung wird denn auch als "rechtmäßig" eingestuft.

Nun ist Gössner nie der Vorwurf gemacht worden, er sei "Extremist" oder "Verfassungsfeind". Zur Last gelegt wurden ihm vielmehr Kontakte zu angeblich linksextremistischen Gruppen und Veranstaltern. Dazu gehörten die DKP oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Verdächtig machten ihn auch Veröffentlichungen im Neuen Deutschland, in Blätter für deutsche und internationale Politik oder Geheim - einem Medium, das sich kritisch mit Geheimdiensten beschäftigte. Wobei nicht bekannt ist, ob auch eine Akte über den damaligen Bremer Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Walz angelegt wurde. Der gehörte ebenso zu Geheim-Autoren wie der Richter a.D. Ulrich Vultejus (Vorstand der Humanistischen Union)

In einem Brief an Gössner hat das Bundesinnenministerium schon 1989 erläutert, wie es die Arbeit seiner Sicherheitsbehörden versteht: Sie interessierten sich für Veröffentlichungen, "die sich zum Ziel gesetzt haben, die Arbeit der Behörden kritisch zu beleuchten oder, was hiermit verbunden sein kann, einem entsprechenden politischen Impetus der Herausgeber folgend, sich ,aufklärerisch' mit einem vermeintlichen Repressionsapparat auseinanderzusetzen". Kommentar Gössner: "Staatskritiker werden zu Staatsfeinden erklärt." Damals, 1989, hatte ein Dr. R. aber noch Überwachungsmaßnahmen geleugnet. 22 Jahre später sollte das Kölner Verwaltungsgericht den Verfassungsschützern ins Stammbuch schreiben, "dass die Beobachtung des Klägers... einschließlich der Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist". Es habe keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Beobachtung und Sammlung von Daten zur Person des Klägers gegeben.

Gössner zeigt sich nach dem Urteil erleichtert. "Ich wollte meine Lebensgeschichte zurückhaben", sagt er, "meine Arbeit wurde durch die Geheimdienstbrille gesehen und meine Worte im Mund umgedreht." Vor Terminen hatte er sich gefragt, ob er nicht besser aufpassen sollte. Um dann doch zu sagen: "Diese Veranstaltung wird mein Sündenregister verlängern."

Journalistische Freiheit verletzt

Doch es geht nicht allein um das "berechtigte Rehabilitätsbedürfnis" (Kölner Verwaltungsrichter) von Gössner. Schon 1997 hatten die Grünen gefragt, wie die Bundesregierung "die möglichen Auswirkungen einer permanenten Geheimdienstbeobachtung auf das Anwaltsgeheimnis, den Informantenschutz und den Abgeordnetenstatus" beurteile. Und der Verband Deutscher Schriftsteller sieht in der Überwachung eine "Verletzung der journalistischen und schriftstellerischen Freiheit".

Für den parteilosen Gössner, stellvertretender Sprecher der Bremer Innendeputation, ist seine Causa ein Beleg für Verselbstständigungstendenzen der Geheimdienste. "Die parlamentarische Kontrolle funktioniert nur bedingt", sagt er. Geheimdienste seien wegen fehlender Transparenz ein "Fremdkörper in der Demokratie". Das Urteil sollte Auswirkungen auf den Verfassungsschutz haben. Die Latte für Beobachtungen müsste höher liegen.

Legt die Bundesregierung keine Berufung gegen das Kölner Urteil ein, kann sich Gössner seine Akte ansehen - oder die 15 Prozent, die nach der Sperrerklärung des Innenministeriums übrig geblieben sind. Immerhin ist neben schwarzen Flecken im Brief der Freien Hansestadt Bremen von 1977 an das Bundesamt für Verfassungsschutz zu lesen, dass sich Gössner im Rahmen seiner Ausbildung für Gerichtsreferendare auch um eine Ausbildung "beim hiesigen Amt" beworben habe. "Das Ansinnen wurde abgelehnt.“

 

 

  6.02.2011

 

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Donnerstag, 3. Februar 2011

 

Formularbeginn

Formularende

http://www.radiobremen.de/nachrichten/gesellschaft/gesellschaftprozessgoessner100.html

3. Februar 2011, 16:22 Uhr

Gerichtsentscheid

Bremer Anwalt zu Unrecht
38 Jahre überwacht

Der Bremer Publizist und Rechtsanwalt Rolf Gössner ist 38 Jahre lang rechtswidrig vom Verfassungsschutz überwacht worden. Das hat am Donnerstag das Verwaltungsgericht Köln entschieden. Weder für die Überwachung noch für das Sammeln von Daten über Gössner habe es eine ausreichende Grundlage gegeben, sagten die Richter.

Rolf Gössner [Quelle: Radio Bremen]

Rolf Gössner hat einen Sieg vor dem Verwaltungsgericht
über den Verfassungsschutz errungen.

Gössner selbst wertet das Urteil als "herbe Niederlage für den Inlandsgeheimdienst, dessen geheime Dauerüberwachungstätigkeit in vollem Umfang für unverhältnismäßig und rechtswidrig erklärt wird." Das Bundesamt für Verfassungsschutz will vor einer Stellungnahme die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann Rechtsmittel prüfen.  

Verfassungsschutz überwacht rechtswidrig

38 Jahre ist der Bremer Anwalt und Publizist Rolf Gössner vom Verfassungsschutz bespitzelt worden - und das war rechtswidirg. Das entschied heute das Kölner Verwaltungsgericht. Die Richter konnten keinen angemessenen Grund für diese Dauerüberwachung nachvollziehen. Der Geheimdienst will sich erst äußern, wenn das Urteil schriftlich zugestellt ist. Dann will er auch entscheiden, ob er in die Berufung geht oder ob das Urteil rechtskräftig wird. Dazu im Studio: Rolf Gössner.   buten un binnen Magazin | RB TV Autor: Markus Daschner Länge: 6:24 Min.

 

 Donnerstag, 03. Februar 2011

 

Politik

Menschenrechtler jahrelang überwacht
Verfassungsschutz verurteilt

38 Jahre lang wurde Rolf Gössner von Bundesverfassungsschutz beobachtet. Dies war rechtswidrig, stellt nun das Kölner Verwaltungsgericht fest. Die rechtliche Grundlage habe gefehlt, heißt es. Für Gössner ist es eine Genugtuung. Er fordert nun strengere Regeln.

Das Kölner Verwaltungsgericht hat die jahrzehntelange Überwachung des Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner durch den Bundesverfassungsschutz für rechtswidrig erklärt. Für eine solche Dauerbeobachtung und Sammlung von Daten fehlte demnach die rechtliche Grundlage. Die Gründe für die Entscheidung wurden noch nicht veröffentlicht, wie ein Gerichtssprecher sagte.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. (Foto: picture alliance / dpa)

Gössner ist unter anderem Mitherausgeber des mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichneten "Grundrechte-Reports", Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretendes Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs. Er war 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet worden, von 1970 bis 2008. Ihm wurden Kontakte zu linksextremistischen Gruppen vorgeworfen, unter anderem zur DKP.

Über die Gerichtsentscheidung sagte Gössner: "Das ist für mich eine Genugtuung und für den Bundesverfassungsschutz eine harte Niederlage." Er gehe davon aus, "dass das Urteil auch Auswirkungen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes haben wird". Die Latte müsse einfach höher gelegt werden, wenn es um Beobachtung gehe.

2006 hatte Gössner Klage gegen die Überwachung erhoben. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung 2008 erklärte das BfV die Beobachtung nach fast vier Jahrzehnten überraschend für beendet. Gegen Gössners Überwachung hatten im Laufe der Jahre unter anderem der Schriftsteller Günter Grass und der Kabarettist Dieter Hildebrandt, aber auch zahlreiche Organisationen protestiert.  dpa/rts

 

 

Weserzeit Donnerstag, 3.02.2011, ab 18 Uhr

Der Bremer Rechtsanwalt und Bürgerrechtlicher Rolf Gössner ist zu Unrecht jahrzehntelang geheimdienstlich beobachtet worden. So lautet das heutige Urteil des Verwaltungsgerichts Köln.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte Gössner wegen angeblich enger beruflicher Kontakte zu linksextremistischen Gruppen 38 Jahre lang überwachen lassen. Bereits im Frühjahr 2006 hatte Gössner gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt.

Heute stellte das Verwaltungsgericht fest, dass Beobachtung und Datenspeicherung rechtswidrig gewesen sind. Die Internationale Liga für Menschenrechte weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Gössner kein Einzelfall sein dürfte. „Diese rechtswidrige und skandalöse Langzeitüberwachung darf nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben.“

понедельник, 07.02.2011, 10:21:11 обновить

Германия

 

04.02.2011, 19:27:50

Версия для печати

 

Рольф Гессенер. Фото с сайта wikipedia.org


Рольф Гессенер.

Фото с сайта wikipedia.org

Немецкие спецслужбы 40 лет незаконно следили за правозащитником

Ведомство по охране конституции ФРГ - спецслужба, занимающаяся надзором за экстремистскими группировками - на протяжении 40 лет вела незаконную слежку за немецким правозащитником Рольфом Гесснером (Rolf Goessner). Соответствующее решение вынес административный суд Кельна, сообщает Frankfurter Rundschau.

Суд пришел к заключению, что для продолжительной слежки за Гесснером, сбора и хранения данных о его деятельности не было достаточных оснований. Правозащитник лишь в 1996 году узнал, что за ним с 1970 года ведется слежка - как сообщалось, из-за его контактов с "левоэкстремистскими и близкими к левоэкстремистским объединениями и СМИ".

Лишь в 2008 году слежка была окончательно прекращена. Ведомство по охране конституции тщательно отслеживало публикации и интервью Гессенера в левых изданиях, например, в маоисткой газете "Рабочая борьба", а также его выступления на собраниях таких организаций, как Немецкая коммунистическая партия (DKP), Объединение жертв нацистского режима и фонд Розы Люксембург.

За все это время правоохранительные органы собрали досье на Гесснера, насчитывающее более 2000 страниц. В ходе судебного процесса лишь 20 процентов от всего объема документов были рассекречены. Правозащитник отметил, что спецслужбы на протяжении 40 лет следили за ним не потому, что он допускал противозаконные действия, а лишь из-за ненадлежащих, по их мнению, контактов.

Рольф Гесснер, не принадлежащий к какой-либо партии, считается экспертом по секретным службам. Он возглавляет действующую в Германии Международную лигу за права человека и является соавтором выходящего ежегодно исследования о соблюдении прав человека в Германии (Grundrechte-Report). Представители Международной лиги уже заявили, что Счетная палата должна заняться проверкой деятельности ведомства по охране конституции по подозрению в разбазаривании средств.

Ссылки по теме - Fast 40 Jahre lang rechtswidrig ueberwacht - Frankfurter Rundschau, 04.02.2011

 

 

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Aktueller Online-Flyer vom 04. Februar 2011

Bundesamt für Verfassungsschutz
wegen vier Jahrzehnten Rechtsbruchs verurteilt

Großer Erfolg
für Menschenrechtler Rolf Gössner

Von Peter Kleinert

Gestern, Donnerstag, den 3. Februar, hat - wie bereits gemeldet - das Verwaltungsgericht Köln ein sensationelles Urteil in einem fünf Jahre andauernden Verfahren des Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalts und Publizisten, Dr. Rolf Gössner - der seit 2005 auch in der NRhZ veröffentlicht - gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundesrepublik Deutschland verkündet. Das Gericht bescheinigte dem Verfassungsschutz mit dessen fast 40jähriger geheimdienstlicher Beobachtung Gössners einen beispiellosen Dauerrechtsbruch, der nicht ohne politische Konsequenzen bleiben dürfte.

Die Kölner Richter kamen nach zwei Wochen Beratung seit dem letzten Prozesstermin vom 20. Januar zu folgendem Urteil: „Es wird festgestellt, dass


Rolf Gössner (Foto: Heide Schneider-Sonnemann)

die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und –Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“ Die Begründung des Urteils lag am Donnerstag noch nicht vor. 

Rolf Gössner stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) - als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar, als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident/Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports und der Zeitschrift Ossietzky, als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und sogar noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Erst am 13. November 2008, unmittelbar vor der ersten mündlichen Verhandlung nach seiner Klage, wurde die Beobachtung überraschend eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung eines unabhängigen Menschen in Deutschland durch den Geheimdienst gewesen sein, die bislang bekannt wurde - ohne dass dieser jemals selbst als "Extremist“ oder "Verfassungsfeind“ eingestuft wurde.

 
Verwaltungsgericht Köln im Dunkeln gelassen - Quelle: www.vg-koeln.nrw.de

Die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts hatte in diesem Verfahren die schwierige Aufgabe, trotz der vom BfV aus Geheimhaltungsgründen wie "Quellenschutz, Ausforschungsgefahr, Staatswohl" - nur unvollständig vorgelegten 2.000seitigen Personenakte entscheiden zu müssen. Außerdem prallten in dem Verfahren "zwei Denkwelten“ aufeinander, wie der Vorsitzende Richter feststellte. Das Gericht problematisierte dabei auch, dass durch die einseitige Auswahl des erfassten Materials durch das BfV Beklagte "zwangsläufig ein falsches Bild" vom Kläger und von dessen beruflichen und politischen Aktivitäten entstehen müsse. Schon deshalb habe Rolf Gössner ein berechtigtes "Rehabilitierungsinteresse", dem das heutige Urteil in vollem Umfang entspreche.  

"Dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig" 

Rolf Gössner drückte bereits vor Gericht sein Bedauern darüber aus, dass er durch diese unsinnige, geradezu absurde Überwachungsgeschichte viel Lebenszeit und -kraft verloren habe, dass zwei Gerichte - aktuell das Verwaltungsgericht Köln und zuvor bereits das Bundesverwaltungsgericht - mit aufwändigen Verfahren belästigt werden mussten. „Aber dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften zu bringen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit künftig zu bändigen.“

„Mir war immer klar" so Gössner, dass mit mir gewissermaßen eine ganze Generation von engagierten Menschen mitklagte, die sich seit den späten 60er Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten und Berufen linkspolitisch betätigten oder weiterbetätigen, und dabei möglicherweise ebenfalls mehr oder weniger lang ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zuspruch und Solidarität empfangen, für die ich mich herzlich bedanken möchte, weil ich mich in gewisser Weise auch stellvertretend zur Wehr gesetzt und geklagt habe.“ 

"Über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung" 

Diese Überwachungsgeschichte und das Gerichtsverfahren zeigten in aller Deutlichkeit, so die Liga, „welche Gefahren für Persönlichkeitsrechte, für Informationelle Selbstbestimmung, Meinungs- und Pressefreiheit, Mandatsgeheimnis und Informantenschutz mit Geheimdiensten und ihren klandestinen Aktivitäten verbunden sind.“ Das Urteil hat nach Auffassung der Liga "über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen - gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?" Klar sei, dass diese Langzeitüberwachung nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben weil es sich dabei nicht um einen Einzelfall gehandelt habe. "Dieser Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern ist offenbar selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.“ Und: "Diese aufwändige Überwachungsgeschichte ist auch ein ganz dringlicher Fall für den Bundesrechnungshof - wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.“ 

"Ein Meilenstein" 

Gössners Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß nennt die die Entscheidung einen "Meilenstein", denn: "Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach 5jährigem Rechtstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässiger Weise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste. Das Amt wird seine Beobachtungs- und Erfassungspraxis gründlich ändern müssen.“

Hinweis der Redaktion

In der nächsten NRhZ-Ausgabe 288 können unsere LeserInnen den Fernsehfilm "Ein Staat sieht Rot" anschauen, bei dem Rolf Gössner als Co-Autor mitgearbeitet hat.

Hintergrundinformationen 

Die Internationale Liga für Menschenrechte hat uns die folgenden Hintergrundinformationen zur Geschichte der Überwachnung von Rolf Gössner und zum Verfahrensverlauf zur Verfügung gestellt:

Rolf Gössner bei der Verleihung der der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006 an Bundeswehrmajor Florian Pfaff und Rechtsanwalt Bernhard Docke (rechts)   NRhZ-Archiv

I. Zur Last gelegt wurden dem Kläger Rolf Gössner berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich "linksextremistischen“ und "linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern – wie etwa DKP, Rote Hilfe oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), aber auch zu Presseorganen wie Demokratie und Recht, Blätter für deutsche und internationale Politik, Geheim oder Neues Deutschland, in denen er - neben vielen anderen Medien - veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen habe er diese Gruppen und Organe "nachhaltig unterstützt“, so der Vorwurf des BfV an den parteilosen Bürgerrechtler. 

„Hier wurde aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten eine verfassungswidrige 'Kontaktschuld' Gössners konstruiert“, so die Liga, „die schließlich als waghalsige Begründung für seine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung herhalten muss. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“ 

Das BfV begnügte sich nicht allein mit den Kontakten Gössners, sondern machte sich inzwischen auch an die Interpretation seiner öffentlichen Äußerungen, maßt sich damit eine Deutungshoheit über seine Texte an und übt sie in geradezu inquisitorischer Weise aus. Diese ideologisch gesättigten Textinterpretationen „führen uns in die tiefsten 1960er und 70er Jahre des Kalten Krieges“ (so Anwalt Udo Kauß): Da wird schon zum "Verfassungsfeind“, wer das KPD-Verbotsurteil kritisiert oder den Begriff "Berufsverbote“ verwendet, die es in der Bundesrepublik angeblich nie gegeben habe. Da diffamiert die Bundesrepublik und ihre Staatsorgane, wer - wie der Geheimdienstkritiker Gössner - den Verfassungsschutz in Frage stellt und wird mit Verfassungsschutzbeobachtung nicht unter vier Jahrzehnten bestraft. 

Nur rund 15 Prozent der BfV-Akten offen und vollständig lesbar 

II. Nachdem Rolf Gössner bereits im Frühjahr 2006 gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln wegen dieser ununterbrochenen und rekordverdächtigen Geheimdienst-Beobachtung eingereicht hatte, kam es Ende 2008 zur ersten mündlichen Verhandlung. Wenige Tage davor teilte das BfV dem Gericht überraschend mit, dass die Beobachtung nach 39 Jahren eingestellt worden sei und alle erfassten Daten löschungsreif seien.

Die Liga hält die Einstellung der Beobachtung Ende 2008 für einen ersten großen Erfolg in diesem Verfahren, der ohne Klage wohl nie zustande gekommen wäre. Der Kläger, der ansonsten wohl immer noch und bis ins hohe Rentenalter unter Bewachung stünde, wurde in diesem Verfahren von ver.di - Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union und vom Verband Deutscher Schriftsteller unterstützt. Zuvor hatten zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Juristenvereinigungen und Schriftsteller - unter ihnen Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Horst-Eberhard Richter - gegen seine Überwachung protestiert. 2008 ist Rolf Gössner als einem der Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Report - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" die Theodor-Heuss-Medaille der Theodor-Heuss-Stiftung verliehen worden - für "vorbildliches demokratisches Verhalten, bemerkenswerte Zivilcourage und beispielhaften Einsatz für das Allgemeinwohl".

Rolf Gössners Klage war auf vollständige Auskunft des BfV über alle zu seiner Person gespeicherten Daten gerichtet. Außerdem sollte die Rechtmäßigkeit der Gesinnungsschnüffelei und Datenerfassung gerichtlich überprüft werden. Inzwischen verpflichtete das Gericht das BfV dazu, Gössners gesamte Personenakte vorzulegen. Dies ist auch geschehen - allerdings zum größten Teil mit entnommenen Seiten und geschwärzten Textstellen: Von allen über 2.000 vorgelegten Aktenseiten sind etwa 85 Prozent ganz oder teilweise unleserlich oder manipuliert oder gar nicht vorgelegt worden; nur rund 15 Prozent sind offen und vollständig lesbar.

Die Verheimlichung ganzer Aktenteile geht auf umfangreiche Sperrerklärungen des Bundesinnenministeriums (BMI) als oberster Aufsichtsbehörde des BfV zurück. Begründung: Würde ihr Inhalt bekannt, könnte dies dem „Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten“; die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes (VS) würde beeinträchtigt, wenn verdeckte Arbeitsweise und operative Interessen bekannt werden ("Ausforschungsgefahr“). Die Geheimhaltung diene aber in erster Linie dem Schutz der Informationsquellen, deren Identität nicht enttarnt werden dürfe ("Quellenschutz“), weil ansonsten eine "Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit“ von V-Leuten, Hinweisgebern und VS-Bediensteten zu befürchten sei.

Höchstrichterlich gebilligte Beweismittelverweigerung 

III. Gegen diese Aktenverweigerung klagte Rolf Gössner parallel vor dem hierfür zuständigen Bundesverwaltungsgericht, um Sperrerklärungen und Geheimhaltung in einem so genannten In-camera-Verfahren überprüfen zu lassen. Dabei handelt es sich um ein rechtsstaatlich hoch problematisches Geheimverfahren ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Klägers. Nach ihrer Auswertung der gesperrten Aktenteile in geheimer Sitzung kamen die höchsten Verwaltungsrichter zu dem von BMI und BfV geforderten Ergebnis, dass die entsprechenden Aktenteile weiterhin aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls geheim gehalten werden müssten. Damit konnte das Verwaltungsgericht Köln nur auf solch eingeschränkter Informationsbasis seine Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit dieser Dauerbeobachtung treffen. 

Trotz dieser höchstrichterlich gebilligten Beweismittelverweigerung im staatlichen Geheimhaltungsinteresse ist die verbleibende Dokumentensammlung (Personenakte) dennoch recht aufschlussreich: So erstaunt etwa, wie viele Behörden, andere Stellen und Personen sich in diesem Fall als denunziatorische Zuträger für den Verfassungsschutz betätigt haben und wie viele Spitzelberichte über Gössners Vorträge und sonstige Aktivitäten angefertigt worden sein müssen. 

IV. Dieses Verfahren hat nach Auffassung der Liga über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen - gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen? 

Dazu RA Kauß: "Die geheimdienstliche Langzeitüberwachung eines Anwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzt Persönlichkeitsrechte, Informantenschutz, Mandatsgeheimnis und die ausforschungsfreie Sphäre, die für regierungsunabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist“. Dazu zählten eben auch berufliche Kontakte zu "inkriminierten“ Gruppen und Personen, die der Verfassungsschutz für beobachtenswert hält. "Kritischer Dialog und offene politische Auseinandersetzung dürfen nicht unter geheimdienstliche Beobachtung und Kuratel gestellt werden“, ergänzt Liga-Vizepräsident Rolf Gössner: „Das würde keine freiheitliche Demokratie auf Dauer aushalten." (PK)  - Online-Flyer Nr. 287  vom 04.02.2011       © 2011 NRhZ-Online

 

     Donnerstag, 3. Februar 2011

Verfassungsschutz beobachtete
jahrzehntelang rechtswidrig Anwalt

Bremen (Reuters) - Der Verfassungsschutz hat jahrzehntelang rechtswidrig den Bremer Anwalt, Publizisten und Menschenrechtler Rolf Gössner beobachtet.

Das hat nach Angaben eines Justizsprechers das Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag festgestellt. Es gab damit einer Klage Gössners gegen das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) statt.

Gössner, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretendes Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs ist, hatte durch eine Anfrage beim BfV erfahren, dass der Verfassungsschutz seit 1970 Daten über seine Kontakte zu "linksextremistischen beziehungsweise linksextremistisch beeinflussten" Medien und Organisationen gesammelt hatte, vor allem aus dem Umfeld der DKP. Gössner war dort als Gastautor oder Referent aufgetreten, ohne selbst Parteimitglied zu sein.

2006 hatte Gössner Klage gegen die Überwachung erhoben. Vor Beginn der mündlichen Verhandlung 2008 erklärte das BfV die Beobachtung nach fast vier Jahrzehnten überraschend für beendet. Die Verwaltungsrichter stellten jetzt nachträglich fest, dass es "keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Beobachtung und Sammlung von Daten zur Person des Klägers gegeben" habe.

Logo der ver.di3/2011

Verfassungsschutz

Jahrelang von allen Seiten beobachtet: Rolf Gössner

Foto: Kay michalak

Wie sich der Menschenrechtler Rolf Gössner
erfolgreich gegen seine Geheimdienstüberwachung wehrte

Von Eckhard Stengel

So sehen also vier Jahrzehnte Berufsleben aus: ein dicker Papierstapel mit 2000 Blatt Akten, zusammengetragen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und seinen geheimen Helfern. Fast 39 Jahre lang hat der Gesinnungs-TÜV alles über den parteilosen linken Rechtsanwalt, Publizisten und Menschenrechtler Rolf Gössner gesammelt, was sich über ihn beschaffen ließ. Der 63-jährige Bremer hat schwer daran zu tragen, als er den Papierberg aus einer Ecke seines aktenübersäten Büros auf den Schreibtisch hievt. Mal eben messen: 25 Zentimeter lichte Höhe. Viel Behördenschweiß ist da zu Papier geronnen.

Aber immerhin wächst der Stapel jetzt nicht mehr. Denn Gössner hat mit ver.di-Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Köln, am Amtssitz des BfV, ein Urteil erkämpft: Die Beobachtung seiner Person war von Anfang an rechtswidrig. Die Richter konnten "keine ausreichende Grundlage" für die dauerhafte Sammlung und Speicherung seiner Daten erkennen.

David gegen Goliath

Noch ist das Urteil "20 K 2331/08" nicht rechtskräftig. Außerdem läuft noch eine Klage gegen den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz, der ebenfalls Material über ihn gesammelt hat. Aber zumindest einen Etappensieg hat Gössner errungen. David gegen Goliath: eins zu null.

Triumphgeschrei stimmt er allerdings nicht an - das ist nicht seine Art. Das Einzige, was er sich über seine Gefühle entlocken lässt, sind die Worte: "Ich bin erleichtert nach so vielen Jahren."

Etwas geahnt hatte er schon immer. 1970/71, da studierte er gerade in Freiburg, bekam eine Nachbarin unerwarteten Besuch, wie Gössner erzählt. Der Herr stellte sich als Polizist vor und wollte Näheres über den jungen Studioso wissen. "Als gute SPD-Frau hat sie sich das natürlich verbeten." Aber der Junglinke hatte nun eine Ahnung davon, was es heißt, auf der Liste zu stehen - egal, ob beim polizeilichen Staatsschutz oder beim Verfassungsschutz; das war ihm damals noch nicht so klar.

Die Jahre gingen ins Land, Gössner war mittlerweile Anwalt und nebenbei Redakteur der geheimdienstkritischen Zeitschrift Geheim, da tauchte eben diese Publikation erstmals auch in einem Verfassungsschutzbericht auf, im Kapitel Linksextremismus.

Alles genau im Visier

"Bin ich jetzt also ein Linksextremist?", fragte sich Gössner. Er richtete ein "Auskunftsersuchen" an das Kölner BfV - und erhielt am 24. Juni 1996 eine verblüffend offene Antwort: Die Behörde bestätigte ihrem Kritiker, dass sie seit 1970 Daten speichere, betreffend seine Mitarbeit bei Geheim sowie seine "Kontakte zu und Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenschlüssen sowie deren Presseerzeugnissen". Mit freundlichen Grüßen, im Auftrag.

Einmal auf den Gedanken gekommen, stellte Gössner regelmäßig neue Anfragen. So besaß er bald eine lange Liste von Aktivitäten, die den Überwachern verdächtig vorkamen. Registriert wurden zum Beispiel Artikel oder Interviews im DKP-Organ Unsere Zeit oder in der Sozialistischen Zeitung, aber auch Gastbeiträge für die linksliberale Frankfurter Rundschau. Ebenfalls im Visier: seine Auftritte bei der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" oder der "Roten Hilfe".

Ja, ist er denn kein Staatsfeind? "Ich bin Staatskritiker", sagt der Weißhaarige mit dem markanten Schnäuzer, "jedenfalls, was die Instanzen der ‚Inneren Sicherheit' angeht". Da kennt er sich aus, dazu hat er mehrere Bücher verfasst, sogar einen Bestseller: Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei.

Wenn er zum Beispiel bei DKPlern auftrat, dann nicht, weil er sich mit ihnen identifizierte, sondern weil er "keine Berührungsängste" hat und mit ihnen über "staatliche Aufrüstung" diskutieren wollte. "Ich bin gegen diese ganze Ausgrenzerei." Aber das Bundesamt habe ihn unzulässigerweise mit diesen Medien und Veranstaltern identifiziert und ihm eine Art "Kontaktschuld" zur Last gelegt.

Die Datensammler hatten einiges zu tun, denn Gössner ist sehr aktiv. Interviews hier, Vorträge dort, Aufsätze überall. Ab 2003 war er immerhin Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, seit 2008 ist er ihr Vizepräsident. Neben seinen eigenen Büchern gibt er den kritischen Grundrechte-Report zur Lage der hiesigen Bürger- und Menschenrechte mit heraus - eine Art alternativen Verfassungsschutzbericht, den sogar die FDP-nahe Theodor-Heuss-Stiftung für preiswürdig hält: Sie zeichnete die Herausgeber 2008 mit einer Medaille aus.

Rekordverdächtige Dauerüberwachung

Die Beobachtung des Geheimdienstkritikers endete auch nicht, als er in Bundestags- und Landtagsausschüssen als Gutachter mitwirkte oder 2007 zum stellvertretenden Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs gewählt wurde. Nicht mal seine Gastauftritte in Polizeiakademien und sogar beim hessischen Verfassungsschutz konnten den Apparat aufhalten.

Die rekordverdächtige "fürsorgliche Dauerüberwachung", so Gössner, hörte erst auf, als er mit ver.di gegen das BfV klagte und 2008 die erste mündliche Verhandlung anstand. Da teilte der Geheimdienst plötzlich mit, dass er die Beobachtung eingestellt und alle Daten gesperrt habe. Die Begründung laut Gössner (die Behörde selbst äußert sich gegenüber Medien nicht weiter zu dem Fall): Die allgemeine Bedrohungslage habe sich geändert, und die knappen Ressourcen müssten jetzt anders eingesetzt werden.

Uff! Aufatmen nach fast 39 Jahren Staatsaufsicht, vom 22. bis zum 60. Lebensjahr, nahezu sein gesamtes Ausbildungs- und Berufsleben lang.

Wie hat er sich gefühlt, seitdem er von der Überwachung wusste? "Ich neige nicht dazu, mich zum Verfolgten zu stilisieren", sagt er nüchtern bei einem Tee in seinem Büro, mitten im alternativen Bremer Ostertorviertel. "Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich pausenlos beobachtet wurde."

Im Kölner Prozess habe die Behörde behauptet, keine nachrichtendienstlichen Mittel gezielt gegen ihn eingesetzt zu haben. Also keine Wanzen, keine Telefonüberwachung und was man sonst so von Geheimdiensten kennt. Aber Gössner geht davon aus, dass manchmal Spitzel bei Unterredungen oder in Veranstaltungen saßen, an denen auch er teilnahm. Anders kann er sich nicht erklären, warum die 2000 Blatt Akten, die ihm im Zuge des Kölner Prozesses offenbart wurden und jetzt diesen riesigen Stapel in seinem Büro bilden, warum sie mal zeilen-, mal seitenweise geschwärzt sind; mal fehlen ganze Blätter.

Klapperte da nicht manchmal die Selbstzensurschere in seinem Kopf? "Es ist nicht zu leugnen", sagt der Jurist, "dass ich mir öfter Gedanken gemacht habe, ob ich noch hier oder da auftreten kann oder mich interviewen lasse. Aber ich habe es dann doch gemacht, wenn ich es verantworten konnte." Und ist immer offensiv damit umgegangen: "Diese Veranstaltung", hat er dann gerne zu Beginn gesagt, "wird demnächst in meinem Sündenregister stehen."

Worum er sich mehr sorgte, waren seine Buchinformanten, Menschenrechtsklienten, Anwaltsmandanten und Abgeordnete, die er beriet. Wenn nötig, wies er sie vorsorglich auf die Überwachungsgefahr hin. "Manche sind dann sehr zurückhaltend geworden", erzählt er.

Urteil stärkt Staatskritiker

Seit der erfolgreichen Feststellungsklage sieht das anders aus. Jetzt wird er bestürmt "von den Gequälten und Verfolgten dieses Landes". "Manche rennen mir die Bude ein, weil ich angeblich den Staat besiegt habe." Und weil er nun für sie kämpfen soll. Aber er kann gar keine Mandate mehr übernehmen, er steckt bis über beide Ohren in Arbeit.

Kaufen kann er sich nichts für das Urteil: Schmerzensgeld sieht das Verwaltungsrecht nicht vor. Und gelöscht werden sollen die Daten auch erst, wenn die Entscheidung rechtskräftig geworden ist, also womöglich nach jahrelangem Zug durch die Instanzen.

Doch zumindest stärkt das Urteil die Rechte von Staatskritikern, die jetzt nicht mehr ganz so einfach zu Staatsfeinden umdefiniert werden können.

Vielleicht schaut jetzt auch der Bundesrechnungshof mal genauer hin: Dass Generationen von Beamten einem parteilosen Linken hinterherschnüffeln, ist zumindest für Gössner eine "Verschwendung öffentlicher Gelder".

Ein Anwaltskollege gratulierte ihm mit dem Wunsch: "Bleibe wild und gefährlich". Seine Antwort: "Mal sehen, was sich machen lässt."

Etwas Gutes hatte die ständige Kontrolle übrigens auch für Gössner: Ihm ist durch die BfV-Auflistungen klar geworden, dass er für einen Auftritt noch gar keine Rechnung geschrieben hatte. "Das konnte ich dann nachholen."

      (Druckauflage ca. 2 Millionen Exemplare)

 

VG Köln

Überwachung durch Verfassungsschutz
war rechtswidrig                             
04.02.2011

Das VG Köln hat am Donnerstag entschieden, dass es für die jahrzehntelang andauernde Überwachung des Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner durch den Bundesverfassungsschutz keine rechtliche Grundlage gab.

Die Gründe für die Entscheidung wurden noch nicht veröffentlicht, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.

Gössner ist unter anderem Mitherausgeber des mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichneten "Grundrechte-Reports" und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Er war 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet worden, von 1970 bis 2008. Ihm wurden Kontakte zu linksextremistischen Gruppen vorgeworfen, unter anderem zur DKP.

Gegen Gössners Überwachung hatten im Laufe der Jahre unter anderem der Schriftsteller Günter Grass und der Kabarettist Dieter Hildebrandt, aber auch zahlreiche Organisationen protestiert.

dpa/plö/LTO-Redaktion

Vorw�rts   3/2011


Mehr Verfassung, statt Schutz!

Ein Angriff auf Pressefreiheit und Informantenschutz. Wegen angeblicher Kontakte zu „linksextremistischen“ Gruppen, wird der Publizist und Anwalt Rolf Gössner mehr als zwei Drittel seines Lebens vom Verfassungsschutz bespitzelt. Erst im Jahr 2011 wurde die Beobachtung als „rechtswidrig“ eingestuft und eingestellt.

Moderator Friedrich Burschel (r.) und Rolf Gössner. Foto: Redaktion

Es sei schon ein merkwürdiges Gefühl gewesen, nach 40 Jahren das erste Mal wieder „verfassungsschutzlos“ zu sein, schmunzelt Rolf Gössner. Der Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater in Bremen berichtet auf der 8. Linken Medienakademie (LiMA) in Berlin über die „inquisitorische Beweisführung“, so Gössner, des Verfassungsschutzes. Der Fall des Journalisten dürfte die längste Dauerbeobachtung einer nie als verfassungsfeindlich eingestuften Person durch den Inlandsgeheimdienst darstellen.

Unter permanenter Beobachtung: Erst das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts beendete die als rechtswidrig eingestufte Oberservierung. Nach förmlichem Antrag, erfuhr Gössner erst 1996 über seine Akte beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Eine Erkenntnis die sein soziales und berufliches Leben wesentlich veränderte. Als Rechtsanwalt und Journalist konnte er weder seinen Mandanten das Mandantengeheimnis, noch Presseinformanten den Informantenschutz garantieren.  

Alle zwei Jahre neue Sünden: Nach seiner Antragstellung erhielt Gössner ein Personendossier, seine „Sündenakte“, die er bis zum Gerichtsurteil in diesem Jahr, alle zwei Jahre neu beantragen musste. Über 2000 Seiten seien von „mehreren Beamtengenerationen des Verfassungsschutzes“, so Gössner, zusammengetragen worden. Doch auch der Einblick in seine Akte hilft dem Rechtsanwalt nur wenig, weil der Großteil der Inhalte aufwendig geschwärzt wurde.

Funktion des Verfassungsschutzes: Auch das Kölner Verwaltungsgericht konnte nur mit den zu „85 Prozent geschwärzten Dokumenten“ arbeiten, weil der Verfassungsschutz seine Quellen (z.B. V-Männer) und seine Funktion gefährdet sieht.

Schon der Name „Verfassungsschutz“ sei angesichts der offensichtlich verfassungswidrigen Vorgehensweise ein Euphemismus, sagt Gössner.  Dieser lenke davon ab, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Geheimdienst sei und ein Fremdkörper in unserer Demokratie. Eine politische Institution, die anders Denkende observiere, obwohl diese nie außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens der Pressefreiheit gearbeitet hätten, sei „Gift für unsere demokratische Gesellschaft“, kritisiert Gössner.

Ihm bleibt die bittere Erkenntnis, dass er ohne eine Klage wahrscheinlich immer noch observiert werden würde und eine neue Akte über ihn jederzeit wieder angelegt werden könnte. Gössner ergänzt, dass der Verfassungsschutz die Beendigung des Verfahrens nicht einmal mit dem Kölner Gerichtsurteil begründe, sondern mit der Gefahrenlage, die sich im Zeitalter des internationalen Terrorismus verändert hätte und Gössner nicht mehr beobachtungswürdig erschienen ließ.

Mehr Verfassung, weniger Schutz: Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt auf seiner Internetseite [1], dass sich alle Demokraten einig darüber sein sollten, dass wir einen Schutz der Verfassung bräuchten, weil damit „Menschenrechte, Freiheit und Demokratie“ gesichert würden. Der Fall Gössner zeigt allerdings auch, dass die Bürger nicht nur des Schutzes vor Verfassungsgegnern bedürfen. 

 

Aachener Friedenspreis begrüßt Urteil gegen Verfassungsschutz

Verfasst von Olaf Theissen am 4 Februar, 2011 - 15:09

 

Der Verein Aachener Friedenspreis hat erfreut auf ein Urteil des Ver­waltungsgerichts Köln zur Praxis des Verfassungsschutzes reagiert. Das Gericht hat entschieden, dass die über 38 Jahre andauernde Beobachtung und Erfassung des Rechtsanwalts und Bürgerrechtlers Rolf Gössner rechtswidrig war.

Gössner, der auch Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte ist, wurde seit 1970 intensiv vom Verfassungsschutz beobachtet und über ihn wurde eine mehr als 2000 Seiten starke Akte angelegt.

Das Urteil sei „eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern auch der anderen 16 Landesämter“. Das Amt werde seine Praxis nun gründlich ändern müssen, heißt es.

Radio Utopie
Nachrichten aus der Weltrepublik 4-02-2011

Verwaltungsgericht Köln: Verfassungsschutz-Observierung von Dr. Rolf Gössner rechtwidrig

Von petrapez | 4.Februar 2011

Juristische Handschellen für das Bundesamt für Verfassungsschutz und somit für das Dulden von ungesetzlicher Spionage von Bürgern durch das Bundesinnenministerium und die Bundesrepublik Deutschland durch deutsches Gericht angeordnet: das BfV ist kein eigener Staat im Staat

Die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln hat am 3.Februar 2011 ihr Urteil in dem Verfahren des Juristen “Dr. Rolf Gössner gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundesrepublik Deutschland” verkündet.

Radio Utopie berichtete am 19.November 2008 ausführlich in dem Beitrag „Verkehrte Welt“- Rolf Gössner: Kämpfer für Menschenrechte vier Jahrzehnte als brisanter Staatsfeind observiert über das laufende Klageverfahren “Dr. Gössner gegen die Bundesrepublik Deutschland”, in dem er von dem Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß vertreten wurde.

Die Richter hatten zur Urteilsfindung nicht alle Fakten vom Bundesverfassungsschutz erhalten, da der BfV aus Geheimhaltungsgründen wie “Quellenschutz, Ausforschungsgefahr, Staatswohl” – eine nur unvollständig vorgelegte 2000seitigen Personenakte übergeben hatte.

„Es wird festgestellt, dass die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und –Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“, zitierte die Neue Rheinische Zeitung die Begründung der Richter zu ihrem Urteil.

Der Vorsitzende Richter stellte fest, dass in dem Verfahren “zwei Denkwelten“ aufeinander prallten und dass durch die einseitige Auswahl des erfassten Materials durch das BfV die Beklagte “zwangsläufig ein falsches Bild” vom Kläger und von dessen beruflichen und politischen Aktivitäten entstehen müsse. Schon deshalb habe Rolf Gössner ein berechtigtes “Rehabilitierungsinteresse”, dem das heutige Urteil in vollem Umfang entspreche.

Das Urteil ist auf der Webseite des Kölner Verwaltungsgericht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht öffentlich zur Verfügung gestellt.

Für Dr. Rolf Gössner ging viel Lebenszeit und -kraft in dem lang anhaltenden Prozessverfahren verloren, der zu der Urteilsverkündung sagte:

„Aber dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften zu bringen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit künftig zu bändigen.

Mir war immer klar, dass mit mir gewissermassen eine ganze Generation von engagierten Menschen mitklagte, die sich seit den späten 60er Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten und Berufen linkspolitisch betätigten oder weiterbetätigen, und dabei möglicherweise ebenfalls mehr oder weniger lang ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zuspruch und Solidarität empfangen, für die ich mich herzlich bedanken möchte, weil ich mich in gewisser Weise auch stellvertretend zur Wehr gesetzt und geklagt habe.“

Die Internationale Liga für Menschenrechte, deren Vizepräsident Dr. Gössner ist, sagte in einer Stellungnahme, dass dieser Einzelfall von grundsätzlicher Bedeutung ist und „welche Gefahren für Persönlichkeitsrechte, für Informationelle Selbstbestimmung, Meinungs- und Pressefreiheit, Mandatsgeheimnis und Informantenschutz mit Geheimdiensten und ihren klandestinen Aktivitäten verbunden sind.

Der Einzelfall ist darüber hinaus von grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft:

Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen – gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Es ist klar, dass diese Langzeitüberwachung nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben wird, weil es sich dabei nicht um einen Einzelfall gehandelt hat.

Dieser Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern ist offenbar selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat. Diese aufwändige Überwachungsgeschichte ist auch ein ganz dringlicher Fall für den Bundesrechnungshof – wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.“

Dr. Udo Kauß zu der Rolle der Geheimdienste in Deutschland:

“Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach 5jährigem Rechtstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässiger Weise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden.

Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste. Das Amt wird seine Beobachtungs- und Erfassungspraxis gründlich ändern müssen.“

 

unsere zeit - Zeitung der DKP                                              11. Februar 2011


Verfassungsschutz war rechtswidrig

Die über 38 Jahre andauernde Beobachtung und Erfassung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Dr. Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz ist vom Verwaltungsgericht Köln für rechtswidrig erklärt worden.

Mit dem heute am 3.2.2011 ergangenen Urteil hat die 20. Kammer des Verwaltungsgerichtes Köln die Beobachtung Gössners durch den Verfassungsschutz für den gesamten Erfassungszeitraum ab 1970 bis 13.11.2008 für rechtswidrig erklärt. Ebenso rechtswidrig war nach Auffassung des Gerichts die Anfertigung der über 2.000 Seiten starken Verfassungsschutz-Akte über den Bürgerrechtler. "Diese Entscheidung hat dem Beobachtungsgebaren des Verfassungsschutzes deutliche Grenzen gesetzt und die Verfassungspositionen der Bürgerinnen und Bürger gestärkt", erklärt Martina Kant, Bundesgeschäftsführerin der Humanistischen Union. "Dem Schutz vor staatlicher Überwachung wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit rückwirkend endlich Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit und angemaßte Befugnis über das, was in unserem Staat zulässigerweise gesagt und geschrieben werden darf, ohne vom Verfassungsschutz beobachtet und erfasst zu werden, ist dem Bundesamt entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern auch der anderen 16 Landesämter. Das Amt wird seine Praxis nun gründlich ändern müssen."

 

  4.02.2011

Spektakuläres Geheimdiensturteil:
Dauerüberwachung durch Verfassungsschutz für rechtswidrig erklärt

 

Von REDAKTION, 4. Februar 2011

Das Kölner Verwaltungsgericht hat am Donnerstag die jahrzehntelange Überwachung des Bremer Menschenrechtlers und Publizisten Rolf Gössner durch den Bundesverfassungsschutz für rechtswidrig erklärt.

Seit 1970 hatte der Jurist ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gestanden, zunächst als Jurastudent, dann als Gerichtsreferendar und seitdem in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen. Erst am 13.11.2008, unmittelbar vor der ersten mündlichen Verhandlung, war die Beobachtung eingestellt worden. (1)  Das Gericht stellte laut Presseberichten fest, „dass die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“

Gössner

Der Bremer Jurist, Menschen­rechtler und Publizist Dr. Rolf Gössner stand 38 Jahre lang unter geheim­dienstlicher Beobachtung.

Gössner ist unter anderem Mitherausgeber des mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichneten „Grundrechte-Reports“, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Bremer Verfassungsrichter. Er war 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet worden. Ihm wurden Kontakte zu angeblich linksextremistischen Gruppen vorgeworfen, unter anderem zur DKP, einer Partei, die programmatisch fest auf dem Boden der Verfassung steht.

Gegen Gössners Überwachung hatten im Laufe der Jahre unter anderem der Schriftsteller Günter Grass und der Kabarettist Dieter Hildebrandt, aber auch zahlreiche Organisationen protestiert.

Über die Gerichtsentscheidung sagte Gössner der Nachrichtenagentur dpa: „Das ist für mich eine Genugtuung und für den Bundesverfassungsschutz eine harte Niederlage.“ Er gehe davon aus, „dass das Urteil auch Auswirkungen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes haben wird“. Die Latte müsse höher gelegt werden, wenn es um Beobachtung gehe.

Im Interview mit der taz sagte der erfahrene Jurist, dass er mit einem Urteil „in dieser Klarheit“ nicht gerechnet habe. (2) Er kritisierte, dass weder er noch das Verwaltungsgericht während des Verfahrens vollständige Einsicht in seine Verfassungsschutz-Akte erhielten: „Von meiner etwa 2.000 Blatt umfassenden Personenakte sind 80 Prozent geschwärzt oder ausgetauscht. Das Bundesinnenministerium hatte eine entsprechende Sperrerklärung verfügt – aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls muss der Großteil der Akte geheim gehalten werden“, sagte Gössner, der angab, gegen diese Verweigerung der Einsichtnahme vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen.

Gössners Anwalt Dr. Udo Kauß kommentierte das Urteil wie folgt: „Diese Entscheidung ist wirklich ein Meilenstein. Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässigerweise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste. Das Amt wird seine Beobachtungs- und Erfassungspraxis gründlich ändern müssen.“ (3)

Die Internationale Liga für Menschenrechte ließ einem Pressebericht zufolge nach dem Urteil verlauten, die „skandalöse und rechtswidrige Langzeitüberwachung dürfe nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben. Der Verfassungsschutz schütze nicht die Verfassung, sondern sei „selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat“. (4)  Die taz kommentierte: „Was ist das eigentlich für ein Land, in dem der Geheimdienst einen Verfassungsrichter bespitzeln kann – mit der Begründung, er habe bewusst nicht als Mitglied einer extremistischen Partei agiert? Es sieht aus, als habe das Bundesamt für Verfassungsschutz alles daran setzen wollen, jenem frühen Rolf Gössner Recht zu geben, der im Jahr 1984 (!) mit dem Buch „Der Apparat“ das Bild eines ausufernden Polizeistaates zeichnete – und damit einem in linken Kreisen verbreiteten Lebensgefühl eine Fakten-Grundlage verschaffte.

Aber wahrscheinlich gibt es bei den Geheimdiensten einfach nur keine Kontrollmechanismen für eingeleitete Überwachungsmaßnahmen. Wer einmal in die Fänge der Verfassungsschützer geraten ist, kommt nicht wieder heraus, auch wenn er selbst längst Hüter der Verfassung in Robe ist. Es sei denn, er wehrt sich juristisch. Die Behauptung, die Beobachtung Gössners sei 2008 aufgrund einer veränderten Sicherheitslage eingestellt worden, darf als dreiste Lüge gelten. “ (5)

Quelle:www.hintergrund.de/201102041350/politik/inland/spektakulaeres-geheimdiensturteil-dauerueberwachung-durch-verfassungsschutz-fuer-rechtswidrig-erklaert.html

Zit. nach http://www.jungewelt.de/2011/02-04/004.php  (2) http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/ich-vermisse-nichts/ (3) zit. nach http://www.jungewelt.de/2011/02-04/004.php (4) http://www.fr-online.de/politik/fast-40-jahre-lang-rechtswidrig-ueberwacht/-/1472596/7152812/-/index.html (5) http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/spitzel-ohne-kontrolle

 

  20. April 2011

Streit um Bespitzelung

Menschenrechtler Rolf Gössner überwacht / Verfassungsschutz wehrt sich.

Rolf Gössner                                  Foto: stengel

BREMEN. Der Verfassungsschutz hält es offenbar weiterhin für rechtens, dass er fast vier Jahrzehnte lang die Aktivitäten des Bremer Menschenrechtlers, Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner (63) beobachtet hat: Gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das die Dauerüberwachung für rechtswidrig erklärt hatte, hat das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Rechtsmittel beim
Oberverwaltungsgericht in Münster eingelegt. Das berichtete ein Justizsprecher auf Anfrage der Badischen Zeitung.

Der parteilose Gössner ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Autor geheimdienstkritischer Bücher und Aufsätze. Das BfV hatte Gössners Aktivitäten seit 1970, als er in Freiburg studierte, und danach bis 2008 überwacht und eine mehr als 2000 Seiten dicke Personenakte über ihn angelegt – wegen angeblicher Kontakte zu linksextremistischen oder entsprechend beeinflussten Organisationen und Medien. Registriert wurden vor allem Gastbeiträge und Interviews in linken Medien sowie Auftritte bei der DKP, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) oder der sogenannten Roten Hilfe. Gössner erfuhr davon durch eine Anfrage bei der Behörde. Als er dagegen klagte, beendete das Amt 2008 vor der ersten mündlichen Verhandlung die Überwachung. Nachträglich stellten die Kölner Richter Anfang Februar fest, dass die Beobachtung ein "schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen" und damit rechtswidrig gewesen sei. Auch wenn Gössner teilweise ähnliche Auffassungen wie die DKP vertreten habe, seien ihm keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen vorzuwerfen (Az.: 20 K 2331/08). Das BfV will das Urteil jetzt vom Oberverwaltungsgericht in Münster aufheben lassen und hat dazu als ersten Schritt die Zulassung eines Berufungsverfahrens beantragt.  

 

 

2011 unmittelbar vor Verkündung des Urteils

TV: buten un binnen vom 20. Januar 2011

Bremer Anwalt klagt gegen Verfassungsschutz

Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner hat den Verfassungsschutz verklagt. Vor dem Verwaltungsgericht in Köln will er klären lassen, ob seine Überwachung durch die Schlapphüte, die fast 40 Jahre andauerte, rechtswidrig war. Ein Urteil fällt in zwei Wochen.

Zum zweiten Mal trat heute der Bremer Publizist und Rechtsanwalt Rolf Gössner als Kläger vor dem Verwaltungsgericht in Köln auf. Gössner klagt gegen den Verfassungsschutz, weil er fast 40 Jahre lang grundlos, wie er meint, überwacht worden ist.

O-Ton Rolf Gössner: „Es ist meines Erachtens ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und es ist auch ein gehöriger Eingriff in Grundrechte wie das Persönlichkeitsrecht und die Meinungs- und Pressefreiheit.“

Rolf Gössner wurde bundesweit bekannt als kritischer Publizist, der sich immer wieder mit staatlichen Instanzen juristische Grundgefechte über Demokratie und Grenzen staatlicher Gewalt lieferte. Erst Jahre nach Beginn der Überwachung merkte er, dass der Verfassungsschutz ständiger Begleiter seines Lebens war.

Im Kölner Verfahren hatte der Geheimdienst weite Teile der Personenakte Gössners geschwärzt oder gar nicht erst vorgelegt – aus Gründen der Geheimhaltung, des Quellenschutzes, des Staatswohls und der Ausforschungsgefahr.

O-Ton Rolf Gössner: „Das Problem ist, wenn der überwiegende Teil der Akten geschwärzt ist oder Seiten der Akte entnommen worden sind, dass dann das Gericht letzten Endes nur auf dieser eingeschränkten Basis urteilen kann.“

Ob die langjährige Überwachung rechtmäßig oder rechtswidrig war, das will das Kölner Gericht in vierzehn Tagen verkünden.

www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6292780

 

NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung vom 22. Januar 2011


Kölner Urteil zur Bespitzelung Rolf Gössners in Kürze

Köln (NRhZ/PK, 21.1.) Nachdem beide Seiten ihre Argumente vorgebracht hätten, stehe das Gericht nunmehr vor der schwierigen Aufgabe, "zwei Denkwelten", die sich gegenüberstünden, zu bewerten. So die Richter am Ende einer Verhandlung gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der 40 Jahre andauernden geheimdienstlichen Bespitzelung des Bürgerrechtlers und Rechtsanwalts Dr. Rolf Gössner am Donnerstag im Kölner Verwaltungsgericht. Mit einem Urteil in dem Verfahren, über dessen Hintergründe die NRhZ in der aktuellen Ausgabe berichtet, wird in etwa 14 Tagen gerechnet.

Tageszeitung junge Welt 21.01.2011 / Inland / Seite 5


Vierzig Jahre Überwachung

Gericht entscheidet in Kürze über Bespitzelung
von Rechtsanwalt Rolf Gössner

Markus Bernhardt

Kritiker des voranschreitenden Abbaus von Grund- und Freiheitsrechten in der Bundesrepublik geraten zunehmend ins Visier der Geheimdienste. So erging es auch dem renommierten Bürgerrechtler und Anwalt Dr. Rolf Gössner. Der Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reportes ist seit 2007 gewähltes Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft. Gössner wurde fast vier Jahrzehnte hinweg vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet.

Am Donnerstag ging ein Verfahren, das er bereits 2006 vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen seiner Beobachtung eingereicht hatte, in die nächste Runde. In der zweiten mündlichen Verhandlung drehte es sich vor allem um die Frage, ob die Bespitzelung ganz oder teilweise rechtmäßig oder rechtswidrig war.

Offenbar erst aufgrund der Gegenwehr des Juristen und der daraus resultierenden Öffentlichkeit hatte das BfV dem Gericht nur wenige Tage vor der ersten mündlichen Verhandlung 2008 mitgeteilt, daß die Beobachtung eingestellt worden sei und alle erfaßten Daten löschungsreif seien. Zuvor hatte die Behörde dem heutigen Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich »linksextremistischen« und »linksextremistisch beeinflußten« Gruppen und Veranstaltern – wie etwa DKP, Rote Hilfe und VVN-BdA – unterstellt. Auch Kontakte zu Presseorganen wie den Blättern für deutsche und internationale Politik oder der jungen Welt wurden ihm angelastet. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen habe er diese Organe »nachhaltig unterstützt«, lautet der Vorwurf des BfV. »Hier wurde aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten eine verfassungswidrige ›Kontaktschuld‹ Gössners konstruiert«, konstatierte daher die Internationale Liga für Menschenrechte.

Nachdem beide Seiten am Donnerstag ihre Argumente vorgebracht hatten, stehe das Gericht nunmehr vor der schwierigen Aufgabe, zwei Denkwelten, die sich gegenüberstünden, zu bewerten, so die Richter. Mit einem Urteil in dem Verfahren wird in etwa 14 Tagen gerechnet. www.ilmr.de

 

Neues Deutschland 21.1.11

Formularbeginn

Entscheidung am 3. Februar

Gössner-Klage gegen Verfassungsschutz

Köln (ND-Meier). Im Verfahren des Publizisten und Menschenrechtsaktivisten Rolf Gössner gegen das von ihm verklagte Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird das Verwaltungsgericht Köln am 3. Februar seine Entscheidung öffentlich machen Das kündete der Vorsitzende Richte Folker Stemshorn gestern während der zweiten und letzten mündlichen Verhandlung an. Entscheiden muss das Gericht, ob die knapp 40 Jahre währende Beobachtung des Juristen Gössner nebst „der erfolgen Erhebung und Speicherung von Daten“ rechtswidrig gewesen ist. Stemhorn betonte, dass man nur auf Grundlage der lesbaren Seiten der vom BfV geführten Gössner-Personenakte entscheiden könne. „Viele Seiten“, so der Richter, „sind so geschwärzt, dass man nichts mehr erkennen kann“. Aus der Bewertung falle insbesondere auch vom BfV nachträglich vorgelegtes Material, das ursprünglich nicht in der Personenakte vorhanden war. Rolf Gössner wertete die Ergebnisse des zweiten Verhandlungstages als „durchwachsen“. Völlig unklar sei, wie das Verfahren ausgehen werde.

In das Visier des Geheimdienstes geraten war Gössner als Student – wegen Aktivitäten im „Sozialdemokratischen Hochschulbund“ (SHB). Der habe sich 1972 in „Sozialistischer Hochschulbund“ umbenannt und ab da, so die Argumentation der Verfassungsschützer, der „marxistischen Lehre des Klassenkampfes“ verschrieben. Durch seine „aktive Mitgliedschaft“ habe Gössner diesem Kurs zugestimmt. Doch Gössner hat den SHB bereits 1970 verlassen.

 

2008

 7.3.2008 - 12:06    http://www.stern.de/politik/deutschland/612872.html

Verfassungsschutz

Schlapphüte sehen rot

Von Wolfgang Metzner

Ein absurder Rekord: Seit den 70ern beobachtet der Verfassungsschutz den Bremer Juristen Rolf Gössner. Er soll mit "linksextremistischen Personen-Zusammenschlüssen" kooperiert haben. Jetzt wehrt sich Gössner gegen die Bespitzelung vor Gericht.


© Heide Schneider-Sonnemann

Im Visier des Verfassungsschutzes: Der Bremer Anwalt Rolf Gössner

Steht da drüben jemand in der dunklen Einfahrt? Peilt der Mann aus dem Dachgeschoss gegenüber durch das Fenster bis in dieses Zimmer, in dem vertrauliche Notizen auf dem Tisch liegen? Ist womöglich hinter den Aktenwänden eine Wanze versteckt? Wer den Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner in dessen Büro im Ostertorviertel besucht, wird das ungute Gefühl nicht los, dass selbst hinter der Deckenleuchte ein Mikro kleben könnte. Denn der Bürgerrechtler wird seit 38 Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet - ein besonderer Rekord, so absurd und anachronistisch wie ein Slapstick aus den Kindertagen des Kinos. Gössner hat dagegen Klage erhoben, über die demnächst entschieden werden soll.

Die unendliche Geschichte begann lange im vorigen Jahrtausend, als noch Kalter Krieg herrschte und widerspenstige Geister in der Bundesrepublik gern als bolschewistische Schläfer verdächtigt wurden - vom Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz jedenfalls. Klammheimlich sammelte es seit 1970 Aufsätze und Interviews des Bremer Juristen, die in ganz unterschiedlichen Blättern erschienen: in der DKP-nahen "Deutschen Volkszeitung", im maoistischen "Arbeiterkampf" oder in einer Broschüre der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes". Der Vorwurf, der ihm allerdings erst 26 Jahre später mitgeteilt wurde: "Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenschlüssen". "Dabei war ich nie Mitglied einer Partei", sagt Gössner, "sondern immer nur für einen offenen, kritischen Dialog."

Veröffentlichungen sofort registriert

Zu kritisch, fand man in Köln, wo die Hüter der freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung sich immer wieder über den linken Rechtsanwalt ärgerten: Schließlich wirkte der auch an der Postille "Geheim" mit, die schon mal einen Schlapphut enttarnte. Half elf Jahre lang als wissenschaftlicher Berater der Grünen in Hannover, den dortigen Verfassungsschutz zu stutzen (was bei Bediensteten intern zu "Motivationsverlusten" führte). Schrieb Bücher über die "Polizei im Zwielicht" und den "modernen Überwachungsstaat". Da half es auch nichts, dass er auch bei eher unverdächtigen Personenzusammenschlüssen wie SPD oder DGB referierte, bei Richtern und Staatsanwälten und sogar beim Hessischen Verfassungsschutz. "Sobald ich etwas bei den üblichen Verdächtigen veröffentlichte, wurde das gespeichert und registriert."

Bis heute haben die Beamten in Köln so viele Artikel und Reden des politischen Publizisten erfasst, dass sie nach Angaben aus dem Dienst "kaum mehr aufzuzählen" sind. Selbst Interviews mit dem "Weserkurier" und der "Frankfurter Rundschau" wurden ausgewertet und archiviert. Die amtliche Sammelwut konnte weder durch Proteste von Strafverteidigern noch von Schriftstellern wie Günter Grass oder Gerhard Zwerenz gestoppt werden und auch nicht durch die Einschaltung des Bundesdatenschutzbeauftragten. Der fand das alles "nicht zu beanstanden", obwohl er die Akten über Gössner nicht mal eingesehen hatte. Sie waren einem seiner Mitarbeiter bloß vorgelesen worden, in Teilen - "zum Schutz der Quellen", wie es aus der Kölner Behörde hieß.

Massiver Eingriff ins Berufsgeheimnis

Die "geheimhaltungsbedürftigen Daten", die der Dienst unter Verschluss hält, be­treffen nach dessen Eingeständnis "Veranstaltungen, die nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden haben". Im Klartext: Dort müssen neben Gössner V-Leute gesessen haben, die nicht enttarnt werden sollen. Zwar hat das Amt inzwischen schriftlich beteuert, dass "keine Quelle gezielt gegen seine Person eingesetzt" wurde. Aber ob er bei der Observation anderer ins Visier geriet, ob nicht noch andere nachrichtendienstliche Mittel wie etwa Wanzen angewandt wurden, weiß Gössner bis heute nicht sicher: "Und wie viel Vertrauen soll eigentlich ein Mandant in einen Anwalt haben, der über Jahrzehnte beobachtet wird? Das ist ein massiver Eingriff in das Berufsgeheimnis, der unbedingt beendet werden muss."

Weil er endlich aus dem amtlichen NADIS-Computer gelöscht werden will, hat Gössner beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Kölner Verfassungshüter erhoben. Schließlich hütet er jetzt selbst in Bremen offiziell die Verfassung, nachdem er dort zum stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof gewählt worden ist. Aber auch das ficht seine Kölner Erzfeinde nicht an: Sie bescheinigten ihm nun sogar, er sei zur Tarnung "ganz bewusst nicht Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation" geworden, damit er für diese "unentbehrliche Agitations- und Propagandadienste" leisten kann.

"Eine Frechheit", sagt Gössner, der im dezent roten Hemd in seinem Büro sitzt - und schmunzelt. Denn manchmal kommt er sich auch wie in einer Farce mit Überlänge vor. Schmunzelnd überlegt der Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte", ob er nicht auch den Bundesrechnungshof wegen jahrzehntelanger Verschwendung öffentlicher Gelder einschalten soll. Vor Gericht hat der 60-jährige Anwalt, der demnächst als Mitherausgeber des "Grundrechte-Reports" wegen "vorbildlichen demokratischen Verhaltens" die Theodor-Heuss-Medaille erhält, jedenfalls ziemlich gute Karten. Kürzlich hat die Kölner Kammer, die bald über seinen Fall entscheidet, schon mal den Übereifer der Schlapphüte gestoppt. Sie entschied, dass die jahrelange Beobachtung des Abgeordneten Bodo Ramelow ("Die Linke") rechtswidrig war.